Universitätsstatut von 1409. Universitätsarchiv Leipzig.
Bereits um 1200 schließen sich die Scholaren von Bologna zu einer universitas zusammen. Sie wählen einen Rektor aus ihrer Mitte, dessen Gerichtsbarkeit sie sich unterwerfen, sie berufen und besolden ihre Lehrer selbst und schreiben selbst gefasste Regeln in Statuten nieder. Wenige Jahre später gibt sich auch die Universität Paris ein eigenes Statut – dessen Paragraphen avancieren in der Folge zum Vorbild für andere europäische Universitäten.
Die Statuten konstituierten eine geschworene Gemeinschaft, die sich im Mittelalter einer besonderen Autonomie und zahlreicher Privilegien erfreute. Der Weg zur Erlangung und tatsächlichen Ausformung der Gemeinschaftsrechte war indes mühsam und langwierig.
Die Selbstorganisation und Eigenverwaltung des Lehrbetriebes war ein Privileg, um das zunächst hart gekämpft wurde. Mehrfach wurden Mitglieder der Universität durch den Pariser Bischof exkommuniziert und die Universität Paris stellte daher den Lehrbetrieb im Jahre 1219 aus Protest ganz ein, 1229 erfolgte sogar ein Auszug der Pariser Universitätsangehörigen.
Das erste Blatt aus dem Universitätsstatut von 1409. Auf der linken Seite der Schwurtext für Universitätsangehörige, mit dem Gehorsamsversprechen gegenüber dem Rektor.
Gut zweihundert Jahre später geriet die Prager Universität in einen ähnlichen Konflikt, als der Landesherr die inneren Auseinandersetzungen zwischen Universitätsangehörigen für politische Gründe nutzen wollte. Durch die im Jahre 1409 von König Wenzel (1361-1419) geänderte Machtverteilung innerhalb der vier Nationen und die Einsetzung eines neuen, böhmischen Rektors an der Prager Universität wurden die nichtböhmischen Nationen entmachtet und bewusst gedemütigt. Aus Protest verließen viele deutsche Universitätsangehörige Prag.
Im benachbarten Leipzig fanden sie eine neue Heimat – hier entstand eine der wenigen europäischen Universitäten, die sich faktisch aus einer schon bestehenden Gelehrtengemeinschaft selbst begründete und erfolgreich entwickelte.
Die ersten Statuten der universitas lipsiensis schon im Vorfeld der päpstlichen Privilegierung vom 2.12.1409 und waren nach den Prager Erfahrungen besonders auf die ausgewogene Interessenvertretung innerhalb der Gemeinschaft fokussiert.
Johann Otto von Münsterberg (1360-1416), der erste Rektor der Universität Leipzig, im Porträt. Die linke Hand stützt er auf ein Buch – vermutlich ein Hinweis auf die Universitätsstatuten.
Die Universität beruhte auf der Gleichberechtigung aller vier Nationen (landsmannschaftlichen Korporationen), die den Rektor wählten und alle Universitätsfragen gemeinsam besprachen.
In den ersten Universitätsstatuten von 1410 wurde das Wahlverfahren zum Rektorat in einem komplizierten Regelwerk konstruiert, um jeglichen Missbrauch auszuschließen.
„Jede Nation erwählte zunächst einen Wahlmann; diese vier ernannten sieben andere, erst je einen von den vier Nationen, dann noch je einen von drei Nationen, und zwar so, dass bei jeder Wahl eine andere Nation nur einen Wahlmann erhielt. Diese sieben wählten wieder je einen von jeder Nation und dann einen fünften von der Nation, die in dem zweiten Wahlkollegium nur einen Vertreter hatte. Dieser Fünferausschuss wählte dann den Rektor.“ [Zarncke, Friedrich: Die Statutenbücher der Universität Leipzig aus den ersten 150 Jahren ihres Bestehens, Leipzig 1861, S. 50]
Jeder der Wahlvorgänge musste binnen einer Stunde abgeschlossen sein, andernfalls drohte eine erhebliche Geldstrafe. Der neue Rektor hatte binnen fünfzehn Tagen sein Amt anzutreten – mit Übernahme der Siegel, der Statuten und durch den beschworenen Amtseid.
Das verbrannte Statutenbuch aus dem Jahr 1543. Fast genau 500 Jahre nach der Entstehung, wurde dieses Buch beim Luftangriff auf Leipzig im Dezember 1943 durch die Brandhitze schwer beschädigt.
Die Universitätsstatuten wurden im Laufe der 600jährigen Universitätsgeschichte immer wieder verändert und überarbeitet. Über den juristischen Gehalt hinaus erhielt sich eine symbolische Bedeutung der Textsammlung bis in die Neuzeit hinein, denn das in festes Leder gebundene Statutenbuch von 1543 wurde Teil des zeremoniellen Rektorwechsels.
In einem feierlichen Akt zog dabei der gesamte Lehrkörper in die Aula der Universität ein. Nach einem Rechenschaftsbericht über seine Amtsführung übergab der alte Rektor dem Nachfolger sein Amt mit den Worten: „Ich übertrage auf Eure Magnifizenz den Hut und Mantel als Abzeichen Ihrer freien Würde, die Kette, mit der einst königliche Huld den Rektor geschmückt hat, das Siegel der Universität, womit Sie deren Willen rechtlich zu beglaubigen befugt sind, die Statuten, deren Hüter Sie sind, endlich den Schlüssel des Hauses als Sinnbild der hausherrlichen Gewalt in seinen Räumen.“