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Verwundungen

Leipzig 1976: Blick auf das Gebiet zwischen Reichsstrasse und Nikolaistrasse. UAL NA_Kuehne_KB_1976_0037_N001


Das Foto von Armin Kühne aus der alten Handelsbörse im Jahr 1976 zeigt das Gebiet zwischen Reichsstraße und Nikolaistraße. Hier befanden sich im alten Stadtkern von Leipzig bedeutende historische Gebäude. Auf einer relativ kleinen Fläche drängten sich hier (von Nord nach Süd) Löhrs Hof, Amtmanns Hof und Deutrichs Hof, wie auf dem Stadtplan von 1913 klar erkennbar ist. Diese Häuser reichten von der Reichsstraße zur Nikolaistraße und hatten sehr kleine Innenhöfe, über die der Warentransport abgewickelt werden musste.

Der bedeutendste Innenhof war Deutrichs Hof. Der Kopfbau an der Reichsstraße war ein dreistöckiges Gebäude im Stil der Spätrenaissance, das von einem Treppengiebel und einem Kastenerker geziert wurde. Dieser Teil des Durchgangshofes blieb bis 1968 erhalten und sollte dann
wieder aufgebaut werden. Fassadenteile wurden ausgelagert und warten bis heute auf die Wiederverwendung! Dieses Areal wurde am 4. Dezember 1943 schwer zerstört und wartet bis heute auf eine angemessene städtebauliche Lösung. Auf dem Bild sieht man eine immer noch nicht geschlossene Wunde im Stadtbild. Zum Zeitpunkt der Aufnahme sind am oberen Bildrand Bauarbeiten für das Gebäude von Interpelz zu sehen. Dieser schmucklose Serienbau konnte bereits im gleichen Jahr 1976 fertiggestellt werden und diente als Sitz
des VEB Interpelz, der den Außenhandel mit Rauchwaren in der DDR abwickelte.

Die Baracken im Vordergrund dienten als Baustelleneinrichtung für dieses Gebäude. Das Interpelzgebäude hatte keine lange Lebenszeit, denn 2007 musste es dem Hotel „Motel One“ weichen, das seinem Vorgängerbau in seiner Nüchternheit in nichts nachsteht. Nur einen kleinen Teil der Fläche an der Reichsstraße wollte ein Investor für den exklusiven Wohnkomplex „Löhrs Hof“ nutzen. Auch dieses Projekt ist bis heute nicht realisiert worden. Schaut man auf die Homepage der Vermarktungsgesellschaft der Wohnungen kann man lesen, dass sich die Seite im Wartungsmodus befindet. Man möge sich doch noch etwas gedulden….

Aus städtebaulicher Sicht wäre es wünschenswert, dass sich ein Investor findet, der diese letzte Kriegslücke innerhalb des Rings ganzheitlich betrachtet und zumindest Teile der historischen Bausubstanz wieder erlebbar machen lässt.


Christoph Kaufmann