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Herausragende Gelehrte der Alma mater | Der Indologe und Orientalist Hermann Brockhaus

Herrmann Brockhaus, um 1874. Source: FS N06241-058, Universitätsarchiv Leipzig
Hermann Brockhaus, um 1874. Source: FS N06241-058, Universitätsarchiv Leipzig

 

Hermann Brockhaus, geboren am 28. Januar 1806 in Amsterdam, gestorben am 5. Januar 1877 in Leipzig, war einer der herausragenden Indologen und Orientalisten seiner Generation. 1841 an die Universität Leipzig berufen, seit 1848 ordentlicher Professor für „ostasiatische Sprachen“, lehrte er hier bis zu seinem Tode.

Hermann Brockhaus wurde am 28. Januar 1806 in Amsterdam geboren. Sein Vater, Friedrich Arnold Brockhaus, hatte hier 1805 den berühmten Verlagsbuchhandel gegründet. 1810 starb die Mutter und der Verlag wurde in Altenburg/ Sachsen neu gegründet. 1817 übersiedelte das Verlagsgeschäft, das einen großen Aufschwung genommen hatte, nach Leipzig, der Metropole des deutschen Buchhandels. Hermann Brockhaus wurde der Pensions- und Erziehungsanstalt Wackerbartsruhe bei Dresden als Schüler anvertraut. Ostern 1820 setzte er seine Ausbildung im Gymnasium zum Grauen Kloster in Berlin fort, das er bis Michaelis des Jahres 1821 besuchte.

Danach war er für kurze Zeit Lehrling im Verlagsgeschäft. Zu Ostern 1823 wurde er in das renommierte Gymnasium zu Altenburg aufgenommen. In den folgenden Jahren durchlief er die Selekta und konnte Ostern 1825 das Studium an der Universität Leipzig beginnen. Auf dem Gebiet der Sprachwissenschaft vollzogen sich damals große Wandlungsprozesse. 1807 erschien in Friedrich von Schlegels Über die Sprache und Weisheit der Inder zum ersten Mal der Ausdruck „vergleichende Grammatik“. Bereits 1816 hatte Franz Bopp das erste Werk der modernen Sprachwissenschaft verfasst: Das Konjugationssystem der Sanskritsprache im Vergleich mit jenem der griechischen, lateinischen, persischen und germanischen Sprache, und 1818 wurde August Wilhelm v. Schlegel an der neu gegründeten Universität Bonn als Professor für Sanskrit berufen.

Die schnell wachsende Zahl der wissenschaftlichen Arbeiten auf dem Gebiet der Sanskritgrammatik, der vergleichenden Sprachwissenschaft sowie der indischen Kultur (Bopp übersetzte auch die berühmte Erzählung von Nala und Damayantī aus dem Epos Mahābhārata, mit der Generationen von Sanskritisten bis zur Gegenwart ihre Sanskrit-Lektüre beginnen) hatte den deutschen Philologenkreisen außerordentlich wichtige Anregungen gegeben und ihren Blick auf dieses noch völlig neue Arbeitsgebiet gerichtet. Auch Hermann Brockhaus fühlte sich zu ihm hingezogen. Da aber in Leipzig noch kein Sanskritstudium angeboten wurde, wandte er sich zunächst den semitischen Sprachen zu, insbesondere dem Hebräischen.

Zu Ostern 1826 setzte er in Göttingen das Studium der orientalischen Sprachen fort. Um tiefer in das Sanskrit und ins Persische eindringen zu können, ging er im Herbst 1827 nach Bonn, wo August Wilhelm v. Schlegel und Christian Lassen wirkten. Die deutschen Universitäten hatten damals im Bereich der Indologie jedoch vergleichsweise wenig anzubieten. Zu Michaelis des Jahres 1828 verließ Brockhaus Bonn für eine mehrjährige Studienreise ins Ausland, die ihn zuerst nach Kopenhagen (1829 – 1830), dann nach Paris, London und Oxford führte. In Paris arbeitete er eng mit dem brillanten Eugène Burnouf zusammen, der ihn in die Zendsprache (die heilige Sprache der zoroastrischen Schriften) einführte. In Oxford entwickelte sich eine enge Beziehung zum Pionier der europäischen Sanskrit-Studien Horace Hayman Wilson, dem wir das erste Sanskrit-Englisch-Wörterbuch verdanken. Als Brockhaus 1835 in seine Heimat zurückkehrte, war ihm kein deutscher Gelehrter an Kenntnissen in der Sanskrit-Philologie überlegen. Schon damals meinte er, „die wahre Bedeutung und Würde“ der orientalischen Studien zu erkennen, nämlich: „dem erstarrenden Morgenlande neues Leben einzuhauchen“ (so sein Schüler Hermann Camillo Kellner).

Damit der Orient nicht bloß eine schale Kopie des Okzidents werde, müsse er aus seinen Quellen erforscht werden. Nach einem kurzen Aufenthalt in Leipzig ließ sich Brockhaus als Privatgelehrter in Dresden nieder. Schon in London hatte er die Arbeit an seinem Lebenswerk begonnen, einer Ausgabe der umfangreichen, 45 000 Strophen umfassenden altindischen Märchensammlung Kathāsaritsāgra („Der Ozean der Erzählungsströ- me“) des kaschmirischen Autors Somadeva (11. Jh.), eine der größten Sammlungen indischer Fabeln, Märchen und Erzählungen in Gedichtform. Brockhaus’ erste Veröffentlichung, Gründung der Stadt Pataliputra und Geschichte der Upakosa, beinhaltet die Sanskrit-Erstausgabe und deutsche Übersetzung einer Episode dieses Werkes. Sie brachte ihm 1838 die philosophische Doktorwürde der Universität Leipzig ein.

Die vollständige Ausgabe erfolgte in drei Bänden in den Jahren 1832 (mit Übersetzung), 1862 und 1866. Gleichzeitig mit seinen Somadeva-Studien bereitete er die Erstausgabe des originellen allegorisch-philosophischen Sanskritdramas Prabodhacandrodaya („Mondaufgang der Erkenntnis“) vor, in welcher personifizierte Begriffe wie die Weisheit, das Ego, die Scheinheiligkeit usw. als Handelnde auftreten (etwa wie im Everyman von Anonymus).

Im Frühjahr 1836 heiratete Brockhaus Ottilie Wagner (1811 – 1833), die jüngste der fünf Schwestern Richard Wagners. Zwei Söhne und zwei Töchter gingen aus dieser Ehe hervor. Der älteste Sohn, Friedrich Clemens, wurde Universitätslehrer und Pastor an der Johanniskirche in Leipzig, der jüngere wirkte als Professor der Rechtswissenschaft an der Universität Jena. Im Jahr 1839 wurde Brockhaus als außerordentlicher Professor der orientalischen Sprachen an die Universität Jena berufen. Ab Wintersemester 1840/41 unterrichtete er dort Hebräisch und Sanskrit; er selbst studierte Gälisch und Finnisch. 1841 erhielt er den Ruf an die Universität Leipzig, wo er 35 Jahre lang, bis zu seinem Tode, lehrte. Brockhaus war ein beliebter Lehrer. Einer seiner ersten Schüler war Friedrich Max Müller; ein anderer war Ernst Windisch, der sein Nachfolger wurde.

Zusammen mit seinen Hallenser Kollegen Pott und Rödiger organisierte Brockhaus 1844 das erste gemeinsame Auftreten der deutschen Orientalisten. 1845 folgte die Gründung der „Deutschen Morgenländischen Gesellschaft“. Von 1846 an und bis in die heutige Zeit erscheint das Organ dieser Gesellschaft mit dem Titel Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft. Neben Drama und Märchen, die sein besonderes Arbeitsgebiet ausmachten, hatte Brockhaus auch ein starkes Interesse für die indischen einheimischen Wissenschaften wie Mathematik, Grammatik, Philosophie und Rechtswissenschaft. Zwei seiner kleineren Arbeiten beziehen sich auf die indische Arithmetik und eine auf die Metrik: „Zur Geschichte des indischen Ziffersystems“ (1842), „Über die Algebra des Bhāskara“ (1852) und „Über die Chandomañjarī (der Blüthenzweig der Metra) von Gangādāsa“. In der Abhandlung über die Algebra Bhāskaras bemerkte er: „Die Zeit des Dilettantismus, der sich ausschließlich an indischer Poesie ergötzte, ist vorbei, die strenge Wissenschaft macht ihr Recht geltend …“. Brockhaus war darüber hinaus im Bereich des Neupersischen tätig. 1845 erschien seine Übersetzung „Die sieben weisen Meister von Nachschebi“. Gleichzeitig trieb er seine Zendstudien weiter, als deren Ergebnis er Venidad Sad. Die heiligen Schriften Zoroasters, Yaçna, Vispered und Venidad.

Nach den lithographischen Ausgaben von Paris und Bombay mit Index und Glossar (Leipzig 1850) publizierte. Auch über die Grammatik der hindustanischen, chinesischen und armenischen Sprachen hielt er regelmäßig Vorträge. Im Jahr 1846 wurde Brockhaus zu einem der ersten Mitglieder der Königlich-Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften gewählt. 1848 wurde er schließlich zum ordentlichen Professor der „ostasiatischen Sprachen“ ernannt. 1850, mit 44 Jahren, fing Brockhaus an, Türkisch zu erlernen, um den Kommentar von Sudi zu den Dichtungen des persischen Mystikers Hafiz lesen zu können. Drei Bände der kritischen Ausgabe der Lieder von Hafiz mit dem türkischen Kommentar Sudis erschienen in den Jahren 1854 – 1860. 1853 übernahm Brockhaus die Redaktion der Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft, die er bis 1864 führte, 1856 auch die Redaktion der Allgemeinen Enzyklopädie von Ersch und Gruber. Ab 1860 war er Mitglied der Münchner Akademie, ab 1868 auch der Berliner Akademie. 1872 wurde er zum Rektor der Universität Leipzig gewählt, und 1873 folgte seine Ernennung zum Geheimen Hofrat.

Hauptpublikationen:

Dissertation: Gründung der Stadt Pataliputra und Geschichte der Upakosa. Fragmente aus dem Katha Sarit Sagara des Somadeva. Sanskrit und Deutsch. 16 + 16 S. Leipzig. 1835. Ausgabe und lateinische Übersetzung: Prabodha Chandrodaya Krishna Misri Comoedia edidit scholiisque instruxit. 8 + 118 + 136 S. Leipzig. 1835 – 1845. Ausgabe und Übersetzung: Katha Sarit Sagara.

Die Märchensammlung des Sri Somadeva Bhatta aus Kaschmir. Erstes bis fünftes Buch. 469 + 157 S. Leipzig 1839 (Übersetzung auch separat, Leipzig 1843); Bücher 6 – 18 in AKM 2 & 4, 1862 – 1866 ohne Übersetzung. Über den Druck sanskritischer Werke mit lateinischen Buchstaben. 92 S. Leipzig. 1841. Ausgabe: Vendidad Sade. 1850; Lieder des Hafis. 1 – 3. 1854 – 1860. Quellen: Karttunen, Klaus, Who was Who in Indology. Unveröffenliches Manuskript. Kellner, Hermann Camillo (1903), „Brockhaus, Hermann“ in Allgemeine Deutsche Biographie. Siebenundvierzigster Band. Nachträge bis 1899. Stache-Rosen, Valentina (1990), German Indologists. Biographies of Scholars in Indian Studies Writing in German. New Delhi. Windisch, Ernst (1917), Geschichte der Sanskrit-Philologie und indischen Altertumskunde. Strassburg (S. 211 – 214).

Von Eliahu Franco