Skip to content

Heinrich Stromer von Auerbach

Auerbachs Keller in Leipzig.  UAL.

Der Name „Auerbach“ ist jedem Leipziger und weit darüber hinaus bekannt – „Auerbachs Keller“ in der Mädler-Passage wird von jedem Stadtführer angepriesen und besucht. Was aber hat es mit diesem Namen auf sich? Im Jahre 1482 wird in Auerbach in der Oberpfalz Heinrich Stromer als Sohn einer aus Nürnberg eingewanderten Bürgerfamilie geboren.

Er wächst in wohlsituierten Verhältnissen auf und kommt in den Genuss einer entsprechenden Vorbildung, die es ihm erlaubt, ein Studium aufzunehmen.

Im Sommersemester 1497 wird er unter dem Rektorat von Johannes Brunckow aus Stendal an der Leipziger Universität immatrikuliert.

Die Universität Leipzig, 1409 gegründet, hatte die typische Struktur einer mittelalterlichen Universität: Zunächst besuchten die Studenten die Artistenfakultät, um dort in den Sprachkünsten (Trivium) und den sogenannten Realia (Quadrivium), also in den „artes liberales“, ausgebildet zu werden. Den ersten Abschnitt schloss man mit dem Grad des Baccalaureus ab, den zweiten mit dem eines Magister artium, was gleichbedeutend mit der Lehrberechtigung an der Artistenfakultät war. Seit dem 15. Jahrhundert wurde der Begriff „Artistenfakultät“ zunehmend durch die Bezeichnung „Philosophische Fakultät“ ersetzt. Diese Ausbildung dauerte etwa vier Jahre, so dass Stromer im Wintersemester 1498 den Grad eines Bacclaureus und im Wintersemester 1501 den des Magister erwirbt. Einige der Magister blieben als Dozenten an der Universität. Zu jenen gehört Stromer, der vom Sommersemester 1502 bis zum Wintersemester 1505 sowie vom Sommersemester 1507 bis zum Wintersemester 1508 an der Philosophischen Fakultät lehrt, auch wird er im Wintersemester 1509 und 1512 als Lehrender erwähnt. 1512 trägt er den Titel „doctor“. Wir wissen von Stromer weiter, dass er ein Medizinstudium absolviert, das er möglicherweise 1506 beginnt, denn in diesem Jahr erscheint er nicht als Dozent in der Philosophischen Fakultät. Die Medizinische Fakultät wurde 1415 gegründet, sechs Jahre nach der Gründung der Universität. 1438 erfolgte die Stiftung zweier Professuren: eine für Pathologie (theoretische Medizin) und eine für Therapie (praktische Medizin). Beim Ausscheiden des Professors für Therapie rückte der Professor für Pathologie automatisch auf dessen Posten und war zugleich Dekan. Während des Sommersemesters 1508 – als Student der Medizin – ist Stromer Rektor der Universität. Das erscheint uns heute unwahrscheinlich, war aber zur damaligen Zeit nicht ungewöhnlich. Das Rektorenamt wurde in Leipzig seit Universitätsgründung zumindest bis 1559 nur ein Semester lang bekleidet, und das von Männern, die schon den Magister artium erworben haben mussten. So war zum Beispiel J. Brunckow, der Rektor im Immatrikulationssemester von Stromer, Magister artium liberalium und Baccalarius der Juristenfakultät, der Nachfolger Stromers als Rektor (Wintersemester 1508), Gregor Breitkopf aus Kronitz, ebenfalls Magister artium und Baccalarius formatus der Theologie.

1509 ist Stromer – wohl immer noch Student der Medizin – einer der Kollegiaten des Großen Fürstenkollegs, das – ebenso wie das Kleine Fürstenkolleg – 1409 gegründet wurde und zwölf Magistern (Großes Kolleg) sowie acht Magistern (Kleines Kolleg) Besoldung bot. Die Magister des Großen Kollegs erhielten 30 Florentiner Goldgulden jährlich. 1511 wird Stromer zum Doktor der Medizin promoviert, 1516 zum Professor der Pathologie berufen und wirkt von 1525 – sein Vorgänger Simon Pistoris war gestorben – bis zu seinem Tod als Dekan der Medizinischen Fakultät. Im Jahr 1504 schreibt er ein Rechenbuch „Algorithmus linealis numerationem additionem subtractionem duplationem mediationem multiplicatione[m]…“, in dem er die Anfangsgründe der Arithmetik darstellt. Dieses Werk wurde erstmals bei Martin Landsberg in Leipzig gedruckt, dann häufig nachgedruckt, beispielsweise 1505, 1507, 1510, 1511, 1516 und 1517 bei Jakob Thanner, auch in Leipzig. Es handelt sich dabei um eine der frühesten Abhandlungen über das Rechnen mit Hilfe eines Abakus.

In der Zeit der Reformation spielt Stromer von Auerbach in Leipzig eine wichtige Rolle. Er steht in regem Briefwechsel mit Martin Luther, Philipp Melanchthon, Ulrich von Hutten und Erasmus von Rotterdam. 1519 beteiligt er sich an der Disputation Luthers mit Johannes Eck (27. Juni bis 15. Juli 1519) und bietet 1539 Martin Luther Quartier in Leipzig. 1519 heiratet er und kauft ein Grundstück, auf dem er um 1530 ein großes Handelshaus, „Auerbachs Hof“ errichten lässt. Ein Weinlokal im Keller trägt den Namen „Auerbachs Keller“. Als Leibarzt zahlreicher Fürsten – Stromer war ,,Kurfürstlich-brandenburgischer, kursächsischer, erzbischöflich magdeburg-mainzischer Leibmedikus“ – verfasst er eine Reihe medizinischer Schriften, als Erste eine oft gedruckte über die Pest. Im Mai 1516 wurde in Leipzig Stromers „Saluberrimae adversus pestilentiam observationes recens editae“ bei Valentin Schumann verlegt und mehrmals nachgedruckt, so in Mainz (1517) oder Straßburg (1518). 1519 erschienen sie als erweiterter Neudruck ebenfalls bei Schumann in Leipzig. Vor der zweiten lateinischen Ausgabe 1516 druckte Melchior Lotter in Leipzig eine deutsche Übersetzung: „Regiment Henrichen Stromers von / Aurbach d[er] ertzenney Doctors inhal/te[n]dt wie sich wid[er] die pestile[n]tz tzubeware[n] auch / den ihenen die damit begriffen hilff trzureiche[n]“, die ebenfalls wiederholt erschien (etwa 1517 in Mainz oder 1533 in Nürnberg). Aus dieser deutschen Fassung wiederum geht ein „Auszug“ hervor: „Ein kurtze unterrichtung getzogen aus den regimenten / Doctoris Heinrichen Stro//mers / heilbarer krefftiger Ertzney / mitt welchen sich der mensch wider die pestilentz bewaren / auch den ihenigen die do mit begriffen hulff reichen mag“, der 1529 bei M. Lotter gedruckt wurde (1539, 1542, 1549 in Leipzig bei Nickel Schmidt) Diese Schriften in ihren vergleichsweise hohen Auflagen gehörten am Anfang des 16. Jahrhunderts zu den bekanntesten über die Pest. Unter „Pest“ ist in jener Zeit allerdings jegliche Seuche zu verstehen; den Erreger der Pest (Yersinia pestis) fand man erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts. In seinen Arbeiten beschreibt Stromer die typischen Anzeichen der nahenden Pest: bestimmte Wetterkonstellationen (kalter Frühling und folgender warmer feuchter Sommer), erschreckende Himmelszeichen, wie „fliegende feurige stern und trachen, […] großer feuerschein auß tiefereroffnung des hymels“, auch „unzeitige tode geburth der schwangern frawen“ und schließlich eine große Anzahl „gifftiger thier“ (Mäuse, Ratten, Schlangen, Fliegen, Raupen, Würmer), die aus der faulenden Erde hervorkommen. Sind Anzeichen der Pest deutlich zu erkennen, müssen Vorsichtsmaßnahmen ergriffen werden. Als sicherste Vorsorge galt eine frühe Flucht „in gesunte frische frey reine lufft / darinne disze erschreckliche plage / nicht regirt […] dan von eynem kreucht die pestilentz zu vil andern / werderhalben mehr von nötten das man zu guet eynem gemeynen nutz / die pestilentzischen absundert / weyt von der wonung der gesunden /“. Wer von Amts wegen sich nicht entfernen konnte, sollte in einer gereinigten und wohlriechenden Wohnung (morgens und abends ein Feuer von Wacholderholz oder Eichenholz schüren, wohlriechende Pulver verbrennen) Unterschlupf suchen, sich gesund ernähren (Zubereitung mit Essig!) und leichte körperliche Übungen machen, da diese die natürliche Hitze vermehren und die faule und böse Feuchtigkeit des Körpers verzehren. Der Mensch soll in allem einen Mittelweg einschlagen. Das sind ganz offensichtlich die Lehren der antiken Medizin: die Vier-Säfte-Lehre (Humoralpathologie) als Konzept für Gesundheit und Krankheit als Störung des Säftegleichgewichts sowie die Diätetik des Galen, wonach ein gesunder Körper eine Abwehr gegen die schädlichen res contra naturam aufbaut. Wenn man ausgehen will, soll man sich mit Wohlgerüchen umgeben und etwas gegessen haben. Menschenansammlungen sollte man vermeiden.

Die Hände sind mit Rosenwasser und Malvasia-Essig zu waschen. Stets soll man einen mit Malvasia-Essig getränkten Schwamm bei sich führen. Auf die Zungenspitze angelica (Engelwurz), gencian (Enzian), macis (Muskatblüte) und zuvor Veilchenwurzel und Kampher aufgebracht, hilft ebenfalls gegen die Pest. Erkrankten empfielt Stromer kräftige Arznei gegen die pestilenzische Vergiftung. Arme Leute sollen ein Latwerg herstellen aus Feigen, Walnusskernen, Weinraute, etwas Salz, die, zerstoßen, mit Sauerkraut-, Sauerampfersaft oder Johannisbeersirup angesetzt und eingedickt eine Art festes Konfekt ergeben, wovon morgens ein kastaniengroßes Stück eingenommen werden soll. Eine große Rolle spielt auch der Aderlass, der je nach dem Sitz der „Beulen“ an verschiedenen Stellen ausgeführt wird. Allerdings mahnt Stromer dabei zur Vorsicht und empfiehlt bei alten Menschen und schwangeren Frauen eher das Schröpfen. Nach diesen Eingriffen soll der Kranke trinken und schwitzen. Auf die Abszesse (Beulen) sind Pflaster zu legen, die das Gift herausziehen sollen. Man kann auch zwei Zwiebeln nehmen, diese oben aushöhlen, mit Triack (Theriak) füllen, den Deckel wieder aufsetzen, braten, zerstoßen und das Pulver auf den Abszess legen. Stromer hat in seinen Pestarbeiten die damaligen Kenntnisse zusammengefasst dargestellt.

In der Medizingeschichte figuriert Stromer insbesondere als Gegenspieler des Paracelsus im Streit um die Wirksamkeit des Guajakholzes als Heilmittel gegen Syphilis; Stromers Gutachten verhinderte den Druck einer ablehnenden Paracelsus-Schrift in Nürnberg, wo er unter den begüterten Patriziern Verwandte hatte, und rettete den Fuggern ihr äußerst lukratives Import-Monopol für diese Droge. Stromer gehört somit zu den prominentesten Leipziger Bürgern der Frühen Neuzeit, der sehr erfolgreich seine universitären Aufgaben, seine wissenschaftlichen Interessen und seine medizinischen Kompetenzen mit kaufmännischen Aktivitäten und politischem Engagement verband.

Von Sabine Fahrenbach