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Friedrich Nietzsche, 1869 Ernennung zum Doktor der Philosophie "in absentia"

„Es war am 17.Oktober 1865 als ich mit meinem Freund Mushacke in Leipzig auf dem Berliner Bahnhofe anlangte… Am anderen Tage meldete ich mich auf dem Universitätsgericht, es war gerade ein Tag … an dem vor hundert Jahren Goethe sich das Album eingezeichnet hatte.“

Der Student Friedrich Nietzsche, 1867. /

Friedrich Nietzsches Leipziger Zeit

Der Philosoph, Kritiker und Denker Friedrich Nietzsche studierte ab 1865 an der Universität. 1869 erfolgte die Ernennung zum Doktor der Philosphie ohne Prüfung, ohne eingereichte Arbeit und „in absentia“, – in Abwesenheit. Friedrich Wilhelm Nietzsche wurde am 15. Oktober 1844 in Röcken bei Leipzig geboren, er starb am 25. August 1900 in Weimar.

Über seine Ankunft an der Universität schreibt Nietzsche: „Es war am 17.Oktober 1865 als ich mit meinem Freund Mushacke in Leipzig auf dem Berliner Bahnhofe anlangte… Am anderen Tage meldete ich mich auf dem Universitätsgericht, es war gerade ein Tag … an dem vor hundert Jahren Goethe sich das Album eingezeichnet hatte.“ (Der junge Nietzsche, Herausgegeben von Elisabeth Förster. Nietzsche, Leipzig 1912, S. 171/2). Nietzsche war mit seiner Lage in sehr Bonn unzufrieden. zwei Semester waren nutzlos vertan. Der Ruf seines Philologieprofessors Friedrich Ritschl (1806 -1876) nach Leipzig  war für Nietzsche Anlass, zusammen mit seinem besten Pfortaer Freund Carl von Gersdorff in einer Art „Bonner Kolonie“ ebenfalls nach Leipzig zu ziehen. Am 8. August 1865 verließ der zwanzigjährige Nietzsche das preußische Bonn.

„Damit ist die Philosophische Fakultät Leipzig die bedeutendste Deutschlands“.

In einem Brief an Carl von Gersdorff vom 25. Mai 1865 schreibt Nietzsche, der vor seinem Studium sechs Jahre lang die abgelegene Fürstenschule Schulpforta bei Naumburg besucht hatte, über die Philosphische Fakultät: „Wir haben im allgemeinen eine gute Vorbereitung in Pforta dazu genossen, wir haben ein ausgezeichnetes Vorbild in Boberstein, den hier unser geistvoller Prof. Springer für den bei weitem bedeutendsten Literaturhistoriker unserer Zeit erklärt hat. Du wirst in Leipzig Curtius wichtig für Sprachvergleichung finden, sodann Zarncke, dessen Nibelungenausgabe ich kenne und schätze, dann den eitlen Minckwitz, den Ästhetiker Flathe, den Nationalökonomen Roscher, den Du natürlich hören wirst. Du wirst mit allergrößter Wahrscheinlichkeit dort finden: unseren großen Ritschl, wie du in den Zeitungen gelesen haben wirst. Damit ist die Philosophische Fakultät Leipzig die bedeutendste Deutschlands“.

Im Oktober 1865, kurz bevor Nietzsche das Studium in Leipzig aufnahm, verbrachte er zwei Wochen in Berlin bei der Familie seines Studienfreundes Hermann Mushacke. Dessen Vater hatte in den 1840er Jahren zu einem Debattierzirkel um Bruno Bauer und Max Stirner gehört. Friedrich Nietzsches Matrikeleintrag in den Akten des Universitätsarchivs Leipzig datiert auf den 20.10.1865. Nietzsche selber behauptete, er habe sich genau auf den Tag einhundert Jahre nach dem von ihm verehrten Goethe an der Leipziger Universität eingeschrieben. Am 25. Oktober 1865 hörte Nietzsche die lateinische Antrittsrede des verehrten Friedrich Ritschl über den „Wert und Nutzen der Philologie“, das „erste fröhliche Ereigniß“ zu Beginn seiner Leipziger Studienzeit. Friedrich Ritschl litt an einer Fußkrankheit, er kam deshalb „hineingerutscht in den Saal, auf seinen großen Filzschuhen“ und winkte Nietzsche zu. Über die Leipziger Studenten vermerkte Nietzsche, sie seien „knirpsartig“ und „dumm“. In Nietzsches Jahrgang wurden 163 Studenten immatrikuliert, 66 Studenten belegten davon Jura. Für Philologie immatrikulierten sich 22 Studenten, für Philosophie lediglich ein Student.

Zum Tagesablauf als Student

Nietzsche schrieb über seinen Tagesablauf in Leipzig: „Ich stehe 1/2 7 auf, arbeite bis 11 Uhr, gehe ins Colleg, dann zu Tisch…, sodann nach Hause, sodann von drei bis 5 wieder ins Colleg und arbeite je nach Belieben von da an bis zum Schlafengehen.“ Am 24. November 1865 hörte Nietzsche eine „Aufführung der herrlichen Johannes-Passion“ in der Thomaskirche. Nietzsches musikalische Vergnügungen waren kostenintensiv und nötigten ihn, „Geldbriefe zu schreiben“. Seine Mutter gab ihm einen Kredit von 10 Talern, da sein Portmonnaie „durch Collegien, Immatrikulation, Bücherankäufe, und durch das unvermeidliche Vorausbezahlen bei Haus- und Speisewirth draufgegangen“ sei. Am 4. Dezember 1865 lud Geheimrat Ritschl den Bonner Kreis in seine Wohnung An der Pleiße ein. Richardt Arnoldt, Wilhelm Roscher, Wilhelm Wisser und Friedrich Nietzsche beschlossen bei diesem Zusammensein die Gründung eines philologischen Vereins. Bei Konzertbesuchen im neobarocken Prachtbau Hotel du Pologne in der Hainstraße verschafften ihm die Bekanntschaft mit Franz List.

Zwei Wohnungsannoncen Nietzsches im „Leipziger Tageblatt“ vom 13.4.1866
In den folgenden Studienjahren sollte Nietzsche zu Friedrich Ritschls philologischem Musterschüler werden. Zeitweise war der verehrte Lehrer für Nietzsche eine Art Vaterfigur, später trat Richard Wagner an diese Stelle. Nach den Erlebnissen der Bonner Studienzeit, für Nietzsche vor allem mit dem befreienden Ende seiner Mitgliedschaft in der „Franconia“ verknüpft, hofft er in Leipzig auf einen wissenschaftliche Studienbeginn. In einer neuen Lebensdekade, die, wie er glaubt, von Sieben-Jahres-Abschnitten geprägt wird.

Friedrich Nietzsches Eintragung vom 20. Oktober 1865 in die Leipziger Universitätsmatrikel steht unter der Nummer 391, sein Bonner Studienfreund Herrmann Mushacke schrieb sich ebenfalls am 20. Oktober 1865 unter der Nummer 395 ein.

Die Leipziger Studienjahre Nietzsches sind durch einen ganzen Kreis von Lehrern, Freunden, Bewunderern geprägt. Ein enges familiäres Band verband ihn mit Mutter und Schwester. Nietzsche schwärmte für Musik, Theater und Philosophie, verehrte Richard Wagner und Arthur Schopenhauer. Mit den gleichgesinnten Freunden seiner Leipziger Zeit, darunter Erwin Rhode und Ernst Windisch, erwirbt sich Nietzsche treue Gefährten, die ihm auch später immer wieder Halt und Anregung geben.

Der Klassisch-Philologische Verein

Seine Studien indessen betreibt er nicht übermäßig fleißig, die Beschäftigung mit der Philosophie Schopenhauers, die Musik, aber auch die gemeinsame Arbeit mit den Kommilitonen im Philologischen Verein bestimmen seinen Tagesablauf. Zur gleichen Zeit entstehen erste Arbeiten, die ihm durch Selbstständigkeit und sprachliche Klarheit die enthusiastische Förderung durch seinen Lehrer Ritschl eintragen.Am 27. Februar 1866 feierten die Vereinsmitglieder als verschworene Gemeinschaft“auf der Stube eines der Mitglieder“ ein bis in die Morgenstunden währendes „Stiftungsfest“. Am 15. Mai 1866 erfolgte die Genehmigung der Statuten durch den Universitätsrichter. In der Folge trat der Verein regelmäßig donnerstags zusammen.
Über den Philologischen Verein schreibt er: „Wir verlebten das erste halbe Jahr ohne Präsidenten und machen immer am Beginn eines Vereinsabends einen von uns zum Vorsitzenden. Was gab es da für aufregende zügellose Debatten!“

„Es war am 18. Januar 1866, als ich meinen ersten Vortrag hielt… nachdem ich die erste Schüchternheit überwunden hatte, kräftig und mit Nachdruck mich ausgegeben und hatte auch den Erfolg, daß meine Freunde den größten Respekt vor dem Gehörten äußerten.“ Sein erstes brilliantes Referat hielt Nietzsche im Restaurant von Johann August Löw in der Nikolaistraße 51.

„Hier will ich gleich eine Bemerkung über meinen Kollegienbesuch machen. Da spricht denn vor allem die Tatsache, daß ich kein einziges vollständiges Kollegienheft besitze, sondern nur traurige Bruchstücke… Im Grunde nämlich zog mich bei den meisten Kollegien der Stoff durchaus nicht an… Die Methode war´s, für die ich lebhafte Teilnahme hatte…“

Friedrich Nietzsche wurde 1869 zum Doktor der Philosophie „in absentia“ ernannt

Nietzsches Abgangsvermerk von der Universität.

Für Nietzsche war etwas anderes als eine akademische Tätigkeit kaum vorstellbar. Die notwendigen Graduierungen wie Promotion und Habilitation schienen ihm eher notwendiges Übel, als ernsthaftes Hindernis zu sein. Dieser Auffassung ist auch sein inzwischen zum kollegialen Freund gewordener Lehrer Ritschl. Als sich für Nietzsche eine Chance auf einen Lehrstuhl in Basel ergibt, unterstützt er ihn nach Kräften. In aller Eile und in seltener Einmütigkeit der Ordinarien, wird Friedrich Nietzsche im März 1869 von der Philosophischen Fakultät „in absentia“, ohne eigens eingereichte Dissertation und ohne Prüfung zum D. phil. promoviert. Weitaus mehr beeindruckten ihn dagegen die erste, für ihn aber schicksalsgleiche Begegnung mit Richard Wagner im November 1868 und seine Berufung nach Basel.

„Hier ist nun zu erwähnen, daß ich beabsichtige, bis Ostern mich aller Habilitationsschereien zu entledigen und zugleich bei dieser Gelegenheit zu promovieren. Dies ist erlaubt: einen speziellen Dispens brauche ich nur, insofern ich noch nicht das übliche Quinquennium (5 Jahre) hinter mir habe.“ [Der junge Nietzsche, Herausgegeben von Elisabeth Förster-Nietzsche, Leipzig 1912, S. 215]

„Lieber Freund [Erwin Rohde], ich halte meinen Finger an meinen Mund und gebe Dir einen recht kräftigen Händedruck. Wir sind doch recht die Narren des Schicksals: noch vorige Woche wollte ich Dir einmal schreiben und vorschlagen, gemeinsam Chemie zu studieren und die Philologie dorthin zu werfen, wohin sie gehört, zum Urväterhausrath. Jetzt lockt der Teufel <<Schicksal>> mit einer philologischen Professur.“ [Friedrich Nietzsche, Sämtliche Briefe, Kritische Studienausgabe von Colli/Montinari, München 1986, Band 2, S. 259/360, Brief von Nietzsche an Erwin Rhode vom 16.1.1969]

Seinem Freund Mushacke schreibt Nietzsche: „Ich glaube Du kannst Dich freuen diesen Sommer fern von der Leipziger Universität zu sein. Denn es ist sehr langweilig, Curtius abscheulich, Rischl nicht mehr neu, Voigt altbacken; ich muß nur den guten alten Zarncke ausnehmen, der die deutsche Literatur recht angenehm und gelehrt vorträgt. Dazu ist es heiß, daß ich schmelzen möchte… Unser philologischer Verein ist sehr geschmolzen. das Essen ist überall sehr schlecht und ebenso theuer…“. Nietzsche und sein Freund Carl von Gersdorff waren rechte Dandys und flanierten durch Leipzig: „Wir gehen öfter zu Renz oder in die Bilseschen Concerte und essen abends öfter in der Postrestauration.“

Nietzsches Geburtsort Röcken

Ein authentischer Nietzsche-Ort ist das Pfarrhaus in Röcken bei Leipzig mit weitläufigem Garten, Nietzsches Geburtshaus.  Nietzsche hat in Röcken eine unbeschwerte Kindheit erlebt, hier ist der Philosoph begraben. Über das Dörflein schreibt er: „Trautes Dörflein! Wie gedenk ich Dein. / Hätte ich Flügel, ich würde mich über Höhen /Und Thäler schwingen und Dir zueilen.“


Friedrich Wilhelm Nietzsche (1844 – 1900)

Studium und Berufung in Leipzig

    • *15. Oktober 1844 in Röcken, Sohn eines lutherischen Pfarrers
    • 1858 bis 1864 Schulbesuch an der Landesschule in Pforta bei Naumburg
    • 1864 Studium der Theologie und der alten Sprachen in Bonn
    • Oktober 1865: Nietzsche folgt seinem Lehrer Friedrich Ritschl nach Leipzig, gleichfalls zogen von Bonn nach Leipzig u.a. die Studenten Erwin Rhode (1845 – 1898), Herrmann Mushacke (1845 – 1906) und Otto Kohl (1844 – 1924)
    • Oktober 1865 Immatrikulation in Leipzig für Philologie
    • Oktober 1865 Antrittsvorlesung von Friedrich Ritschl „Über Wert und Nutzen der Philologie“
    • Wintersemester 1865/66 intensive Beschäftigung mit Schopenhauer Mitarbeit im Riedelschen Gesangsverein und häufige Konzertbesuche, eigene Kompositionen
    • Dezember 1865 Gründungsversammlung des Klassisch-Philologischen Vereins Erste Veröffentlichung zur griechischen Philosophie
    • Oktober 1867 Preisverleihung an Nietzsche für seine philologische Untersuchung „De fontibus Diogenis Laertii“
    • September 1867 Aushändigung des Sittenzeugnisses und Exmatrikulation
    • Militärzeit 1867 – 1868
    • Oktober 1868 Nietzsche kehrt als Privatgelehrter nach Leipzig zurück Promotion zum Dr. phil. am 23. März 1869: „ohne Prüfung zuerkannt“
    • Ende März 1869 verlässt Nietzsche endgültig Leipzig
    • 1869 bis 1879 Professur für klassische Philologie in Basel 10 Jahre freischaffende, rastlose Tätigkeit als Pilosoph
    • 1889 geistiger Zusammenbruch in Turin
    • † 25. August 1900 in Weimar