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Walter Hasenclever, Promotion abgelehnt!

Hasenclever (23/24 Jahre alt) und Franz Werfel (1890-1945), 1912/15 Lektor beim Kurt Wolff Verlag, Leipzig 1913/14, UAL FS N02687

„Ich, Walter Georg Alfred Hasenclever, bin geboren am 8. Juli 1890 in Aachen, Sohn des Sanitätsrats Dr. med. Karl Hasenclever und Annie, geb. Reiss, evangelischer Konfession.

Ich absolvierte das humanistische Kgl. Kaiser-Wilhelms-Gymnasium in Aachen, erlangte das Reifezeugnis im Jahre 1908, Ostern, studierte ein Semester in Oxford (England) und eins in Lausanne (Schweiz) Rechtswissenschaft und Literaturgeschichte.

Ich studierte dann 7 Semester an der Universität Leipzig Kulturgeschichte, Literaturgeschichte, Philosophie, Pädagogik und Sprachwissenschaften.

Ich war Mitglied des Germanistischen Instituts und des ‚Instituts für Kultur- und Universalgeschichte’, empfing meine Ausbildung durch die Herren Geh. Rat Prof. Dr. Lamprecht, Köster, Volkelt, Spranger, Wundt, Wittkowski und Raoul Richter. Ich arbeitete in den Seminaren des Herrn Geh. Rat Lamprecht und Geh. Rat Köster und studierte in Italien Kunstgeschichte.“ (UAL: Phil. Fak. Prom. 854, 3)

So beschreibt Walter Hasenclever seinen Lebenslauf im Antrag zu seiner Dissertation. Nachdem er ab 1908 zunächst in Oxford vom Vater bestimmt ein Semester lang Rechtswissenschaft studiert hatte, wechselte er in Lausanne zur Literaturwissenschaft und schrieb sich schließlich am 24. April 1909 unter der Matrikelnummer 974 an der Universität Leipzig ein.

Hier besuchte er vor allem Vorlesungen in Philosophie, Literaturwissenschaft und Kulturgeschichte, aber auch in Psychologie bei Wilhelm Wundt. Bereits 1909 veröffentlichte er einen Hinweis auf „Dramatiker-Abende in der L. Fr. St. [Leipziger Freien Studentenschaft, genannt „Die Finken“, Interessenvertretung der nicht in Studentenverbindungen organisierten Studenten]“ in der Studentenzeitschrift „Das Schwarze Brett“ der Freien Studentenschaft.

In Leipzig schloss er auch Bekanntschaft mit Kurt Wolff (1887-1963) und Kurt Pinthus (1886-1975), mit denen er einige gemeinsame Vorlesungen besuchte. Insgesamt sollte er hier acht Semester lang studieren. 

Am 9. Juli 1912 reichte er seinen Antrag zur Dissertation mit dem Titel „Die Entwicklung der Zeitschrift ‚Die Gesellschaft’ in den 80er Jahren: ein Beitrag zum physiologischen Impressionismus“ ein. (UAL: Phil. Fak. Prom. 854, 1) Als Fächer für die mündlichen Prüfungen wurden „Geschichte, Philosophie, Pädagogik“ bestimmt. (UAL: Phil. Fak. Prom. 854, 4)

Der Erstgutachter Karl Lamprecht kritisierte besonders die Sprache der Arbeit: „Die Arbeit des Herrn Hasenclever habe ich seit längerer Zeit, freilich mit gemischten Gefühlen verfolgt und auch schon im vorigen Sommersemester gelesen, sie ist auch schon einer Umarbeitung unterzogen worden. Der Verfasser ist gewiss ein sehr lebendiger und geschmeidiger Mann, aber mit der Logik der deutschen Sprache steht er auch in dieser neuesten Rezension seiner Arbeit an nicht wenigen Stellen auf gespanntem Fuße; und der Standpunkt ist bei allen Versuchen, diese Grenze besonders auch in der Einleitung zu überschreiten, doch immer noch sehr innerhalb des behandelten Gegenstandes, statt über ihm genommen. Massgebend dafür, das Thema überhaupt anzugreifen war (…) die Tatsache, dass er sich (…) in der Möglichkeit glaubte, ein besonders reiches, bisher unbekanntes Material heranziehen zu können. Nun wird man aber auch in dieser Hinsicht von einer gewissen Enttäuschung nicht frei. Was beigebracht wird, ist im Wesentlichen doch nur der Stoff, der der Zeitschrift ‚Die Gesellschaft’ ohne weiteres entnommen werden kann. Fasse ich zusammen, so glaube ich wohl, dass bei nochmaliger Umarbeitung aus der Arbeit etwas Brauchbares werden kann; so, wie sie jetzt vorliegt, möchte ich sie für eine Zensur als reif noch nicht erachten.“ (UAL, Phil.Fak.Prom. 854, 5)

Auch Zweitgutachter Johannes Volkelt sah sprachliche Defizite: „Ich stimme dem Urteil des Herrn Referenten vollkommen zu. Die (vor allem einen philosophischen Charakter tragende) ‚Einleitung’ strotzt vor gestaltlosen, schief, ja absurd gebildeten Sätzen. Der Verfasser liebt verblüffende sprachliche Wendungen, hinter denen sich Unklarheit der Gedanken verbirgt. (…) Der Verf.[asser] ist nicht ohne Talent, er hat zweifellos auch verständnisvolle Fühlung mit dem Charakter der Bewegung, die er behandelt, genommen. Aber alles ist noch gährend – sachlich wie der Form nach. Ich stimme sonach dem Antrag auf Rückgabe zur Umarbeitung zu.“ (UAL, Phil.Fak.Prom. 854, 4)

Nach der Ablehnung und Rückgabe zur Umarbeitung reichte „Herr Schriftsteller Walter Hasenclever“ seine Dissertation am 6. März 1913 ein zweites Mal ein. (UAL, Phil. Fak. Prom. 854, 10)

Doch wiederum stieß die Sprache Hasenclevers bei Erstkorrektor Lamprecht auf Unverständnis: „Die Arbeit des Herrn Hasenclever hat uns schon einmal vorgelegen. Beide Referenten kamen damals zu der Ueberzeugung, dass sich diese Arbeit in der vorliegenden Form zur Annahme als Dissertation nicht eigne, dass aber eine Umarbeitung ihr vielleicht die hierzu nötigen Eigenschaften geben könne. Leider enttäuscht nun die neue Bearbeitung, die der Verfasser jetzt eingereicht hat. (…) Allein, ganz abgesehen von dem Inhalte, verbietet es schon die Form der Arbeit, sie zur Dissertation anzunehmen, denn diese Form ist in der jetzigen Bearbeitung womöglich noch abstruser und im übelsten Sinne des Wortes aphoristischer, als früher. Der Verfasser hat zum Beispiel kein Verständnis für die Logik der Koordination, er wirft abstrakte und konkrete Darstellung im selben Gegenstande willkürlich durcheinander, seine Redeweise strotzt von abenteuerlichen Formen, in denen die Bilder zweier deutscher Redensarten durch einandergeworfen sind u.s.w.“ (UAL, Phil.Fak.Prom. 854, 10)


Ebenso bei Zweitkorrektor Volkelt, dessen vollständiges Gutachten lautete: „Der Verfasser ist nicht im Stande, einfach sinngemäß zu schreiben. Vor lauter Überwürzung hat er das Gefühl für das einfach Richtige verloren. Aber auch inhaltlich hat man es in der vorliegenden Arbeit mehr mit einem leicht hingeworfenen Essay als mit einer wissenschaftlichen Untersuchung zu  tun. Ich stimme daher dem ersten Herrn Referenten zu. Also: Ablehnung.“ (UAL, Phil.Fak.Prom. 854, 11)

Hasenclever versuchte, seine Dissertation noch einmal im Wintersemester 1913/14 an der Universität Bonn einzureichen, doch auch dies scheiterte.

Walter Hasenclever nimmt sich das Leben

Nach jahrelanger Flucht durch ganz Europa landete er schließlich in einem Internierungslager in der Provence, wo sein Leben vor 75 Jahren ein trauriges Ende fand. Nach der Niederlage Frankreichs nahm er sich in der Nacht vom 21. auf den 22. Juni 1940 im Internierungslager Les Milles bei Aix-en-Provence mit einer Überdosis Veronal das Leben, um nicht den Nazis in die Hände zu fallen.