Thomas Müntzer war Theologe, begann sein Studium 1506 in Leipzig und öffnete sich der Wittenberger Reformation. Er wirkte als Prediger, kritisierte den Verfall in Kirche und Gesellschaft und erwartete, dass Gott die Gottlosen vernichtet und eine Reform der Christenheit, ja der Welt herbeiführt. Im Glauben, Gott werde dies durch aufständische Bauern bewirken, schloss er sich ihnen an. Die im 19. Jh. einsetzende Müntzer-Verherrlichung hat zu einer internationalen Erforschung seiner Person und Umwelt herausgefordert.
Thomaß Munczer de quedilburck“ wurde als 118. und letzter des Wintersemesters 1506/07 in die Leipziger Matrikel eingetragen.
„Thomaß Munczer de quedilburck“ wurde als 118. und letzter des Wintersemesters 1506/07 in die Leipziger Matrikel eingetragen. Da über sein Alter nichts bekannt ist und die zeitgenössischen Studenten im Durchschnitt ihr Studium im 17. Lebensjahr aufnahmen, wird aufgrund dieses Eintrages sein Geburtsjahr „um 1489“ angenommen. Er war zwar in Stolberg/Harz geboren, kam aber von der Lateinschule in Quedlinburg an die Universität. Hinter seinem Namen wurde vermerkt, dass er die übliche Einschreibgebühr von 6 gr. bezahlte. Er nahm also keine Gebührenminderung in Anspruch. Die zeitweise aufgestellte Behauptung,
Müntzer sei mittellos gewesen und habe infolge seiner Armut revolutionäre Ideen entwickelt, wird dadurch und durch sein späteres soziales Umfeld widerlegt. Zum Wintersemester 1512/13 ließ er sich in die Matrikel der Universität Frankfurt/Oder einschreiben. Vermutlich erwarb er hier die Titel Magister artium und Magister theologiae.
Nachdem er in der Diözese Halberstadt zum Priester ordiniert worden war, erhielt er am 6. Mai 1514 ein Lehen am Marienaltar der St. Michaeliskirche in Braunschweig, wo er mit der besitzenden Oberschicht Verbindung pflegte. Bald danach hatte er das Amt des Propstes und Leiters der Schule des Kanonissenstifts Frose bei Aschersleben inne. 1517 setzte er sein Studium fort, mindestens teilweise auch in Wittenberg. An allen drei Universitäten, die Müntzer aufsuchte, wurden humanistische Studien getrieben. Diese richteten sich besonders auf die
Sprachen Latein, Griechisch und auch Hebräisch, auf antike Autoren, auf die Heilige Schrift und auf Kirchenväter. Damit war eine entschlossene, mit Polemik und auch Spott einhergehende Abkehr von der scholastischen Philosophie und Theologie sowie Kritik an der spätmittelalterlichen Kirche verbunden. Die mittelalterliche Mystik fand neue Aufmerksamkeit. Alle diese Bestrebungen nahm Müntzer auf.
Als der Lutherschüler Franz Günther infolge seiner reformatorischen Predigt in Jüterbog mit den Franziskanern in Streit geriet, ließ er sich um Ostern 1519 von Müntzer vertreten, der mit seiner Kirchenkritik ebenfalls Gegnerschaft auf sich zog. Er fand Zuflucht als Beichtvater im Zisterzienserinnenkloster Beuditz bei Weißenfels.
Während Martin Luther und Andreas Bodenstein aus Karlstadt
im Sommer 1519 in Leipzig auf der Pleißenburg mit Johann Eck disputierten, war Müntzer vermutlich in der Stadt. Von Luther vermittelt übernahm Müntzer im Mai 1520 in Zwickau an der Marienkirche die Vertretung des Predigers Johannes Egranus. Danach übertrug der Rat Müntzer die Predigerstelle an der Katharinenkirche. Müntzer geriet erst mit den Franziskanern, dann aber auch mit Egranus und Anhängern Luthers so in Streit, dass er im April 1521 entlassen
wurde. Müntzer hatte die Überzeugung gewonnen, dass nach dem Tod der Apostel ein von den Geistlichen verschuldeter Verfall der Kirche begonnen habe, der zu ihrer schrecklichen Verwüstung geführt habe. Gott werde nun „in der letzten Zeit“ eine umfassende Reformation der Christenheit mit mehr Gerechtigkeit für
das Volk vornehmen. Er bezeichnete sich als den, der „für die Wahrheit kämpft“, und hielt Umschau nach dem Werkzeug, dessen sich Gott bedienen will. Sein erster Blick fiel auf die Hussiten, die sich vom Papst getrennt hatten.
Müntzer zog nach Prag, wo er als Vertreter der Wittenberger freundlich aufgenommen wurde, dann aber durch seine apokalyptischen Vorstellungen Ablehnung erfuhr. Die Böhmen versagten ihm die Gefolgschaft. Er verließ Prag, hielt sich an mehreren Orten auf und richtete seine Kritik nun auch gegen die Wittenberger Reformatoren. Im April 1523 erhielt er die Pfarrstelle an der Johanneskirche in dem kursächsischen Ackerbürgerstädtchen Allstedt. Hier heiratete er
die Nonne Otilie von Gersen, die ihm einen Sohn gebar. Er führte eine Reform der kirchlichen Ordnungen – einschließlich Taufe, Trauung und Bestattung – ein und schuf eine für alle verständliche, deutschsprachige Liturgie. Er gewann die Zustimmung des Rates, seines Amtskollegen und des Amtmanns auf dem Schloss Allstedt. Aus umliegenden Orten strömten Gemeindeglieder zu seiner Predigt. Als Graf Ernst von Mansfeld diesen Predigtbesuch unterbinden wollte, griff ihn Müntzer am 22. September 1523 in einem Brief an, den er mit „Thomas
Muntzer, eyn verstorer [Zerstörer] der unglaubigen“ unterschrieb.
Der Kampfgegen die Gottlosen prägte sein Denken. Am 13. Juli 1524 forderte er in einer Predigt auf dem Schloss Allstedt die anwesenden kursächsischen Fürsten auf, ihre Macht diesem Kampf zur Verfügung zu stellen. Diese entschieden sich aber, diejenigen zu bestrafen, die am 24. März 1524 die Mallerbacher Kapelle des Nonnenklosters Naundorf in Brand gesteckt hatten, den Verteidigungsbund aufzulösen, den Müntzer angesichts der Bedrohung von Seiten umliegender Fürsten organisiert hatte, und die Druckerei zu schließen, die für Müntzer druckte. Da die
Allstedter Müntzer nicht gegen diese Maßnahmen unterstützten, verließ Müntzer im August 1524 seine bedeutendste Wirkungsstätte.
Er betätigte sich nun als Prediger an der Marien- und Nikolaikirche in der
Reichsstadt Mühlhausen, in der seit 1522 reformatorisch gepredigt wurde. Er beteiligte sich an der Ausarbeitung der „Elf Artikel“, die ein neues, an Gottes Wort orientiertes Stadtregiment forderten. Mit Hilfe in die Stadt gerufener Bauern setzten sich aber konservative Kräfte durch. Müntzer wurde am 26. September 1524 ausgewiesen. Er zog über Nürnberg bis in die Schweiz und begegnete auf seiner Rückreise im Klettgau und Hegau aufständischen Bauern. Er gewann die
Überzeugung, dass sie das von Gott auserwählte Werkzeug seien, „die große Reformation“ der Welt heraufzuführen.
Im Februar 1525 kehrte Müntzer nach Mühlhausen zurück, wo sich inzwischen die Reformation durchgesetzt hatte. Er erhielt die Predigerstelle an der Marienkirche. Eine Auseinandersetzung zwischen dem Rat und den Predigern endete mit der Neuwahl eines „Ewigen Rates“. Seit Mitte April ergriff die Bauernerhebung auch Thüringen.
Ein Mühlhäuser Aufgebot von 10 000 Mann zog unter
einer von Müntzer mit einem Regenbogen gestalteten Fahne auf das Eichsfeld, nicht gegen Graf Ernst von Mansfeld, wie es Müntzer wünschte. Für eine Unterstützung des Frankenhäuser Haufens konnte er nur 300 Mann gewinnen. Bei ihm angekommen, versuchte er vergeblich, Verstärkung des Bauernheeres zu gewinnen. Durch Briefe an Fürsten, deren Heer die Bauern einschlossen, trat er als Wortführer in Erscheinung. Im Vertrauen, dass Gott selbst den Kampf gegen die Gottlosen zum Sieg führen würde, bewegte er die Bauern, auf weitere Verhandlungen zu verzichten und sich dem Kampf zu stellen.
„Die Herren machen das selber, dass ihnen der arme Mann feind wird. Die Ursache des Aufruhrs wollen sie nicht wegtun. Wie kann es die Länge gut werden? So ich das sage, muss ich aufrührerisch sein.“ –
Hochverursachte Schutzrede, 1524.
Am 15. Mai 1525 unterlagen die Bauern sehr schnell dem angreifenden Fürstenheer und suchten ihr Heil in der Flucht hinter die Mauern von Frankenhausen. Sie wurden aber von der nachdrängenden Reiterei niedergestochen, so dass um 6 000 ihr Leben verloren.
Müntzer gelang die Flucht in die Stadt, wo er aber entdeckt, gefangengenommen und seinem Feind Ernst von Mansfeld in Heldrungen übergeben wurde. Für Müntzer kam diese Katastrophe völlig überraschend. Er hat sie damit erklärt, „daß ein jeder seinen Eigennutz mehr gesucht als die Rechtfertigung [Verteidigung] der Christenheit“.
Nach einem Verhör, bei dem man auch die Folter anwendete, wurde er zusammen mit seinem Mühlhäuser Amtskollegen Heinrich Pfeiffer am 27. Mai 1525 im Heerlager Görmar – östlich vor den Toren von Mühlhausen – hingerichtet.
Müntzer hat außer seinen liturgischen Schriften nur sechs Flugschriften veröffentlicht, wovon bei einer Schrift von 500 Exemplaren 400 und einer weiteren alle in der Druckerei beschlagnahmt wurden. Eine herausragende Bedeutung erlangte er erst durch den Irrtum einiger Reformatoren – unter ihnen Luther und Philipp Melanchthon –, Müntzer sei der Urheber der 1524 begonnenen Bauernerhebung gewesen. Sie wussten zwar um Müntzers Forderung, die Gottlosen zu vernichten, nahmen aber die davon unabhängigen Sozialkämpfe nicht als solche wahr. Mit ihren Schriften machten sie Müntzer als Bauernführer publik. Er wurde zum Inbegriff eines Aufrührers. Sowohl in Flugschriften als auch im fürstlichen Briefverkehr wurden Unruhen auf den „müntzerischen Geist“ zurückgeführt.
Die sozialistische Bewegung des 19. Jahrhunderts entdeckte den von den Reformatoren gezeichneten Müntzer als Symbolfigur für eigene Bestrebungen, indem sie in dem „Aufrührer“ einen vorbildlichen Revolutionär sah. Diese Sicht hatte nach dem Ersten Weltkrieg, besonders aber in den Anfangsjahren der DDR, starken Einfluss auf die Bewertung der Reformation.
Die Folge war eine weltweite Forschung, die sich dem historischen Müntzer und seinem sozialen Umfeld zuwendete. Die Leipziger Universität hat sich mit ihren Kirchenhistorikern durch Heinrich Boehmer seit 1922 und nach dem Zweiten Weltkrieg mit ihren Historikern durch Max Steinmetz und von ihm angeregte marxistische Forscher daran beteiligt. Diese Forschung führte zur Erschließung der Quellen und zur Überwindung der von den Reformatoren geförderten „Müntzerlegende“.
Die Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig bringt seit 2004 unter Mitarbeit von Angehörigen der Universität Leipzig eine dreibändige Thomas-Müntzer-Ausgabe heraus.
Helmar Junghans
Jubiläen 2006