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Richard Wagner, geboren am 22. Mai 1813, Student in Leipzig 1831

Richard Wagners wildes Studentenleben

Zur ersten Riege berühmter Leipziger Studenten gehört Richard Wagner (22. Mai 1813 – 13. Februar 1883), der sich in seiner Geburtsstadt 1831 für das Fach Musik einschrieb. Als fleißiger Studiosus ging der junge Wagner nicht in die Geschichte ein, ihn reizten eher die Musen. Die freie Zeit verbrachte er mit ernsthafter Arbeit: während seiner Studienzeit schrieb Wagner schon erste Konzertstücke, die er auch zur Aufführung brachte. Voller Tatendrang betrachtete der Bürgersohn das Studentenleben in seinem Leipziger Corps Saxonia. „Unmittelbar vom Rektor rannte ich wie angeschossen auf den Fechtboden, um mich bei der Landsmannschaft Saxonia, unter Vorzeigen meiner Inskriptionskarte, zu Aufnahme zu melden. Mein Ziel war erreicht: ich durfte die Farben der Saxonia, welche damals ihrer vielen gefälligen Mitglieder wegen besonders beliebt war und in Ansehen stand, tragen.“  Seine Corpsbrüder fanden bei ihm wenig Gnade, denn sie schienen ihm allzu unpolitisch.

Genies brauchen keinen Schulabschluss und kein Universitätsdiplom

Genies brauchen keinen Schulabschluss und kein Universitätsdiplom, sie erzwingen den Erfolg dank ihrer Persönlichkeit; so lautet ein verbreitetes Vorurteil. Als Richard Wagner am 13. Februar 1883 in Venedig starb, konnte er auf ein erfülltes Leben und ein großes Werk zurückblicken, das nicht nur die Kunstwelt erfüllte. Zeitlebens hatte er keine geregelte Ausbildung durchlaufen, aber dennoch auf vielen Gebieten Erstaunliches geleistet. Es war ein „mit äußerstem Willen ins Monumentale getriebener Dilettantismus“, wie es Thomas Mann 1933 in seinem Vortrag von „Leiden und Größe Richard Wagners“ ausdrückte.

Am 23. Februar 1831 immatrikulierte Wagner an der Universität Leipzig, zu einem Studium aber scheint es erst gar nicht gekommen zu sein, vielmehr ergab er sich einem ausschweifenden Studentenleben, dem ihn die Mutter bereits im Herbst desselben Jahres entriss, indem sie ihn zum Privatstudium dem Thomaskantor Theodor Weinlig übergab. Wagner machte in Leipzig überhaupt keine guten Erfahrungen mit den Lehreinrichtungen. War er in Dresden an der Kreuzschule noch der Lieblingsschüler seines Lehrers Magister Sillig gewesen und hatte mit seinen Dichtungen Eindruck gemacht, so stand bereits der Wechsel an das Nikolaigymnasium am 21. Januar 1828 nach dem Umzug der Familie nach Leipzig unter einem unguten Stern, denn Wagner wurde in die Obertertia zurückversetzt. Bis 1830 besuchte er die Nikolaischule, aber nun war er kein Musterschüler mehr, dafür gibt uns seine Autobiographie die Bestätigung:
„Der Verfall meiner Studien und mein völliges Abweichen von den Pfaden einer regelmäßigen Schulausbildung schreibt sich von meinem Eintritt in Leipzig her, und vielleicht war der Hochmut des Schulpedantismus daran schuld.“ (Wer hätte auch erwartet, dass Wagner die Schuld bei sich selbst gesucht hätte.)
Wagner vergleicht die beiden damaligen „Gelehrtenschulen“, „die ältere, Thomas-, und die jüngere, Nikolaischule genannt: die Nikolaischule stand damals in vorzüglicherem Rufe als ihre Schwester; dort musste ich demnach aufgenommen werden.“ Doch bereits die Aufnahme entsprach nicht seinen Erwartungen, seinen „phantastischen Neigungen“ entsprechend konzentrierte er sich nicht auf den Unterricht,  sondern dichtete er ein Drama „Leubald und Adelaide“. Seltene Einsicht in der Autobiographie: „Meine Vernachlässigung der Schule erreichte den Grad, daß es notwendig zu einem Bruche mit ihr führen musste.“
Die revolutionären Unruhen des Jahres 1830 und die zwiespältige Rolle, welche die Studentenverbindungen darin spielten, faszinierten Wagner so sehr, dass ihm an nichts mehr lag, „als so schnell wie möglich nun selbst endlich Student zu werden“.

An der Thomasschule, die damals „unter dem Rektorat eines schwachen Greises stand“, glaubte er sich leicht „durch den bloßen Anschein ihres Besuches mich bis zur Berechtigung zum Abitur-Examen durcharbeiten“ zu können. „Die Lehrer der Thomasschule waren jedoch nicht geneigt, meinen Wünschen des Studentwerdens so gutwillig zu entsprechen; sie fanden am Schlusse des Halbjahres, daß ich mich so gut wie gar nicht um ihre Lehranstalt bekümmert hatte, und waren nicht davon zu überzeugen, daß ich ein Anrecht auf das akademische Bürgertum durch Zunahme an Gelehrsamkeit mir gewonnen hätte.“ So überzeugte er seine Familie von seiner Absicht, Musiker zu werden, und schrieb sich „ohne um die Pedantereien auch der Thomasschule mich zu kümmern“, unmittelbar beim Rektor der Universität als Student der Musik ein, was „ohne weiteren Anstand geschah“.
Es war höchste Eile geboten, denn das Semester neigte sich dem Ende zu und nur während der Vorlesungszeit konnte sich Wagner noch vor den langen Ferien in eine Studentenverbindung aufnehmen lassen.

„Unmittelbar vom Rektor rannte ich wie angeschossen auf den Fechtboden, um mich bei der Landsmannschaft Saxonia, unter Vorzeigen meiner Inskriptionskarte, zu Aufnahme zu melden. Mein Ziel war erreicht: ich durfte die Farben der Saxonia, welche damals ihrer vielen gefälligen Mitglieder wegen besonders beliebt war und in Ansehen stand, tragen.“

Ausführlich schildert Wagner sodann in seiner Autobiographie die Ausschweifungen des Studentenlebens, die extensiven Kneipen und seine verzweifelten Bemühungen, sich auf dem Paukboden einem Duell zu stellen. Die wilden Leipziger Jahre waren aber für die Entwicklung Wagners anscheinend keineswegs schädigend, vielmehr gewann seine Persönlichkeit erst jetzt das letztendlich so entscheidende Profil.

Helmut Loos, Richard Wagner: Zum 125. Todestag , Jubiläen 2008

Der Autor Helmut Loos ist Professor für Historische Musikwissenschaft am Institut für Musikwissenschaft der Universität Leipzig.