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Promotionsbücher als historische Quellen

Die Doktorbücher. Akademische Beurkundungen, Falschaussagen und historische Sozialstatistik in Massenquellen des 15.-20. Jahrhundert.

Von Jens Blecher, Universitätsarchiv Leipzig

[gedruckt in: Archivalische Zeitschrift, Band 90/2008, S. 173-208.]

1. Promotionsbücher als historische Quellen

„… zcu unngelymff sey eyngeschribenn …“

Von den Anfängen der Universität Leipzig bis weit in das 20. Jahrhundert hinein wurden die Promotionsbücher zu den wertvollsten Besitztümern der akademischen Korporationen gezählt. Durch die mit der Magisterpromotion erlangten Rechte in der Nationenverfassung, wegen der an die Graduierungen gebundenen Fakultätszugehörigkeit und schließlich zur Bestimmung der Rangfolge innerhalb der Fakultät, trugen sie ähnlich rechtspraktischen Charakter wie die Matrikel- oder Statutenbücher. Angesichts dieser rechtlichen Nachweisfunktion wurden die Promotionsverzeichnisse wohl gleichrangig den Statuten angesehen und seit der Frühzeit der Universität zunächst in Form einzelner Blätter den Statuten beigeheftet. Natürlich verbanden sich mit den akademischen Privilegien in der vormodernen Gesellschaft auch persönliche Rechte für das promovierte Individuum. Wie bei jeder historischen Quelle stehen neben der Funktion auch die Funktionsverluste. Für Nachlässigkeiten und Unregelmäßigen im Umgang mit den Promotionsbüchern spricht die von Georg Erler geäußerte Vermutung, dass die Eintragungen zumeist nachträglich erfolgten und nicht immer vom Dekan der Fakultät selbst vorgenommen wurden. So fehlen in den höheren Fakultäten alle Nachweise für die Frühzeit der Universität und selbst die Frage, warum oder wann sie verloren gegangen sind, bleibt unbeantwortet. Auch bei regelmäßig vorgenommenen Eintragungen konnte es zu Irrtümern, Nachträgen und wahrscheinlich zu „vergessenen Promotionen“ (d.h. der Eintrag in das Promotionsbuch wurde vergessen) kommen. Die Promotionsbücher wurden neben ihrer Beurkundungsfunktion ebenso zur Austragung von Streitfällen innerhalb der Fakultät genutzt, weswegen spätere Eintragungen nicht mehr vom Dekan allein vorgenommen werden durften. Eine erste Auseinandersetzung aus dem Jahre 1489 betrifft zwei Magister, die zwar aus der Theologischen Fakultät ausgeschlossen waren, dennoch weiter der Philosophischen Fakultät angehörten. In Folge der auch dort von ihnen ausgelösten Streitigkeiten kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen innerhalb der Fakultät. Schließlich wurden die beiden inhaftiert und ein Prozess vor der römischen Kurie geführt. Dort einigten sich die verfeindeten Parteien auf einen Kompromiss. Nachträglich interessant ist vor allem ein Passus: nämlich in den Fakultätsbüchern alle gegenseitig inkriminierenden Eintragungen zu löschen. Gut 20 Jahre später findet sich schon die nächste Beschwerde eines Magisters, der 1511 glaubt, dass er „… zcu unngelymff sey eyngeschribenn …“ . Nach diesem Zeitpunkt durften Eintragungen in das Promotionsbuch der Philosophischen Fakultät nur noch in Gegenwart unbeteiligter Dritter vorgenommen werden.  Zum Ende des 16. Jahrhunderts wurden schließlich professionelle Schreiber damit beauftragt.

Im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts, nach 1766, als sich die öffentliche Wertschätzung für die Magisterwürde auf einem Tiefpunkt befand, wurden die Aufzeichnungen stark vernachlässigt und erst gut 30 Jahre später nachgetragen.

Immerhin wurden die Promotionsbücher der Artistenfakultät etwas sorgfältig geführt, waren die in der Eingangsfakultät erlangten Graduierungen durch auch für die Abschlüsse in den höheren Fakultäten eminent. Zugleich erzwang die Masse der anfallenden Eintragungen eine bessere Registratur und Verwahrung, so sind die Bücher bis in die Gegenwart hinein vollständig überliefert. Ähnlich wie die Matrikelbücher wurden die Promotionsbücher außen mit schmuckvollen Intarsien versehen und im Inneren mit kalligraphischer Anmut und künstlerisch hochwertigen Verzierungen ausgeführt. Die förmliche Art der Eintragungen bleibt sogar bis in die Neuzeit hinein fast unverändert. Erst die Anlage von Einzelakten zu den Promotionsvorgängen, zunächst in wenigen Sonderfällen, dann systematisch, minderte den Wert der Promotionsbücher, die im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts zu einer Art besserer Registerbände herabsanken. Dennoch betrachteten die Fakultäten die entsprechenden Statuten- und Promotionsbücher, wie die späteren Promotionsakten, als einen wertvollen Besitz, in den Fremde oder NichtFakultätsmitglieder kaum Einblicke erhielten. Ein erstes Beispiel dazu findet sich schon im Jahre 1542 und steht im Zusammenhang mit der damaligen Universitätsreform durch den vorausgegangenen Konfessionswechsel.

„Ein Ausschuss zur Beratung der Abänderungswünsche wurde bestellt, mit der Bearbeitung der neuen allgemeinen Satzung der Universität Camerarius16 beauftragt, der den gewünschten Entwurf rasch fertig stellte. Auch drei der Fakultäten, die theologische, die medizinische und die philosophische, gingen auf die Satzungsänderung ein. Nur die Juristenfakultät wies das Ansinnen zurück; sie gab durch ihren Senior (Ambr. Rauch, einst Propst zu St. Thomae) zur Antwort: die Fakultät wundere sich, dass der Rektor die juristischen Statuten abzufordern wage, die selbst dem Fürsten Georg versagt worden seien. Die Fakultät habe sich ihre Satzung selbst gegeben und werde sie von sich aus ändern, ohne den Fürsten und den Rektor. In der Tat legte sie, ihren Anspruch auf Selbstverwaltung wahrend, neue Satzungen nicht vor.“

Ironischerweise wurden die von den Fakultäten und Nationen vorgelegten Verfassungen in Dresden gar nicht herangezogen – insofern schien die Praxis der Juristenfakultät tatsächlich Recht zu geben. Die strikt gewahrte Vertraulichkeit des Informationsflusses innerhalb der Fakultäten erzeugte auch eine besondere Atmosphäre, in der kontroverse Diskussionen offen ausgetragen und dennoch protokolliert wurden. Neben den Doktorbüchern spiegeln auch andere Fakultätsquellen die tatsächliche Meinungsbildung innerhalb der akademischen Korporationen wider und zeichnen ein realistisches Bild von den inneren Verhältnissen und den im Kontakt mit Ministerien und Öffentlichkeit angestrebten Außenwirkungen. Tatsächlich blieben interne Schriftstücke noch bis weit in das erste Drittel des 20. Jahrhundert hinein für Dritte verschlossen. Noch im Jahre 1929 musste ein sächsischer Staatsarchivar, der einen Überblick über die an der Universität vorhandenen historischen Dokumente erstellen wollte, jeweils in den einzelnen Fakultäten um eine besondere Zugangserlaubnis nachfragen. Betreten durfte er die Räume stets nur in Begleitung eines Fakultätsbeamten und eines Ordinarius. Damals galt die schriftliche Aktenführung der Fakultäten zugleich als Teil ihres korporativen Selbstverständnisses und die Vertraulichkeit der niedergelegten Meinungen ließ ein verbindendes Sekretwissen entstehen. Eine Zentralisierung der einzelnen Fakultätsarchive in einem Universitätsarchiv war eine Idee, die erstmals im Nationalsozialismus, ermöglicht durch das sogenannte Führerprinzip, aufkam und sich mit den Bemühungen um eine neue, nationalsozialistische Universitätsgeschichtsschreibung verband. Endgültig verwirklicht wurde die Zentralisierung aller universitären Aktenbestände aber erst nach dem Krieg.

1950 wurden die historischen Schätze der akademischen Korporationen in einer Zentralbehörde, dem Universitätsarchiv Leipzig, vereint. Selbst in dieser Zeit, einer politisch gewollten Neuordnung der akademischen Verhältnisse und unter den Bedingungen einer sich verstärkenden Fluktuation bürgerlicher Hochschullehrer hatte es das neue Archiv anfangs schwer und besonders um die Übergabe der Doktorbücher aus den Fakultäten entzündete sich mancher Streit. Dabei reichte die Überlieferung der einzelnen Korporationen weit in die Vergangenheit zurück. Die Philosophische Fakultät selbst hatte schon seit dem Ende des 18. Jahrhunderts gezielt einzelne Aktenstücke zu besonderen Promotionsangelegenheiten angelegt.

Mit den neuen Statuten traten im 19. Jahrhundert zu den Amtsbüchern die Akten der Fakultäten hinzu, die im Zeitalter der anwachsenden Verwaltungsapparate immer breiter und systematischer angelegt wurden. Nach einem fast 50 Jahre dauernden Streit um die Neufassung der Promotionsordnungen der Fakultät konnte erst am 22.8.1866 eine neuzeitliche Fassung in Kraft treten.  In der Philosophischen Fakultät setzte daher nach 1866 – ebenso wohl auch in den anderen Fakultäten – eine umfangreiche Schriftlichkeit zum Promotionswesen ein. In den Bombennächten des 2. Weltkrieges erlitten die Fakultätsarchive zum Teil schwere Verluste – zum Glück existiert jedoch für die Jahre von 1409 bis 1559 die Edition der Promotionsbücher durch Georg Erler. Noch heute sind im Universitätsarchiv Leipzig die Promotionsbücher der Artistenfakultät ab dem Jahre 1409, neben den Baccalariats- und Disputationsverzeichnissen, vorhanden.

Bei den Medizinern setzt eine lückenhafte Überlieferung ab dem Jahre 1431 ein. Erst nach 1661 liegen die Promotionslisten systematischer vor und sind schließlich ab dem Jahr 1865 in geordneten Büchern vorhanden.

Die Promotionsbücher der Juristenfakultät sind heute nur noch in einer 1763 besorgten Abschrift für die Jahre seit 1504 überliefert. Danach wurden die erfolgten Promotionen unter einer besonderen Rubrik bis zum Jahre 1818 ins Statutenbuch eingeschrieben.

Ein eigenes Doktorbuch wird ab dem Jahre 1810 bis ins Jahr 1939 in gleicher Form geführt.  Bei den Theologen sind keine originären Quellen zu den Promotionsverzeichnissen vor dem Jahr 1943 mehr vorhanden. Allein in den Promotionsbüchern der Philosophischen Fakultät sind von 1409 bis 1900 etwa 12000 Magisterpromotionen verzeichnet. In den sogenannten drei höheren Fakultäten stehen ihnen weitere rund 9500 Doktor- und Lizentiatenpromotionen gegenüber – von den ca. 5100 (Medizin) und 2500 (Juristen) noch heute in den Doktorbüchern des 19. Jahrhunderts nachweisbar sind. Im Gegensatz zu den verzeichneten Angaben in den Doktorbüchern finden sich heute im Universitätsarchiv jedoch weniger als 3500 Promotionsakten aller Fakultäten aus der Zeit vor 1900.

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