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Gründung und Entwicklung der Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät

Mit dem Befehl Nr. 333 der „Sowjetischen Militäradministration in Deutschland“ (SMAD) wurde am 2. Dezember 1946 angeordnet, an den Universitäten Leipzig, Jena und Rostock Gesellschaftswissenschaftliche Fakultäten (Gewifa) einzurichten. Vorbild waren die in der Sowjetunion im Jahre 1921 gebildeten Fakultäten. Die Besatzungsmacht sowie die kurz vorher gegründete Einheitspartei SED verfolgte damit die Zielstellung, in relativ kurzer Zeit eine neue „sozialistische Intelligenz“ zu schaffen, die in Verwaltung, Wirtschaft und auch an den Hochschulen die alte „bürgerliche“ ablösen konnte.

An der Universität Leipzig nahm die Gewifa am 15. April 1947 den Studienbetrieb auf. Struktur, Lehrinhalte sowie personelle Besetzung des Lehrkörpers wurden vorrangig durch die „Deutsche Zentralverwaltung für Volksbildung“ (DVV) vorgegeben, abweichend von der damals noch existierenden Hochschulgesetzgebung unter Landeshoheit. Bestrebungen an der Universität, die Bildung einer eigenständigen Fakultät zu verhindern und statt dessen eine Abteilung in der bestehenden Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät einzurichten, scheiterten am Einspruch der DVV.

An der Gewifa wurden die Fachrichtungen Wirtschaftspolitik, Sozialpolitik, Außenpolitik und Kulturpolitik/Publizistik unterrichtet. Ein von zentraler Stelle angestrebtes Berufungsgebiet „Dialektischer und historischer Materialismus“ für den späteren Staatssekretär für das Hochschulwesen Gerhard Harig konnte von der Philosophischen Fakultät mit der Begründung, dass der Materialismus die unumstößliche Doktrin einer Partei ist, die nicht durch einen akademischen Meinungsstreit in Frage gestellt werden kann, noch verhindert werden.

Gründungs-Dekan wurde der marxistische Jurist Arthur Baumgarten, der noch einen Lehrstuhl in Basel hatte. So oblag es dem Vertreter Friedrich Behrens, dessen Berufung vom DVV durchgesetzt wurde, die ersten entscheidenden und auch schwierigen Schritte der neuen Fakultät zu lenken. Es gab in anderen Fakultäten einiges Misstrauen hinsichtlich des politischen Charakters der Neugründung, so dass den Nachbarfakultäten ein grundsätzliches Gastrecht in den Sitzungen der Gewifa eingeräumt wurde. Neben den beiden o.g. Professoren lehrten an der Gewifa u.a. der Philosoph Hans-Georg Gadamer, der Historiker Walter Markow, der Philosoph und Pädagoge Adolf Menzel und als Honorarprofessor der damalige Leipziger Oberbürgermeister Erich Zeigner. Auch wurden Lehrkräfte durch die politischen und zentralen Instanzen eingesetzt, denen ein akademischer Hintergrund fehlte, wie Albert Schreiner (Staatskunde und internationale Beziehungen) oder Gerhart Eisler (Politische und soziale Probleme der Gegenwart).

Das Studium an der Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät nahmen im SS 1947 etwa 120 Studierende auf. Die Ausbildung war gebührenfrei, und es wurde ein erhöhtes Sonderstipendium gezahlt. Die Institute der Fakultät wurden im Franz-Mehring-Haus (Goethestraße 3-5) zentriert. Es gab Gemeinschaftsunterbringung und -verpflegung für die Studenten. Die Auswahl für das Studium erfolgte nach politischer Zuverlässlichkeit und durch wissenschaftliche Eignungsprüfung. Abitur war anfangs nicht erforderlich – von den 121 Studierenden im Mai 1947 war nur jeder Fünfte im Besitz der Hochschulreife. Sechs der Immatrikulierten gehörten der LDP, zwei der CDU und der Rest der SED an.
Anfangs war ein 4-semestrischer Studiengang eingerichtet. Ab SS 1949 konnte nach 6 Semestern der Diplomabschluss erreicht werden, nachdem die Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät in die Gewifa eingegliedert worden war. Im WS 1950/51 erfolgte die Umwandlung der Gesellschaftswissenschaftlichen in eine Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, in der die ökonomischen Kompetenzen der Universität gebündelt wurden. Das Studium des Marxismus-Leninismus war ab diesem Zeitpunkt für alle Studierenden verbindlich, eine Fachabschlussprüfung in den Gesellschaftswissenschaften mussten alle nachweisen.

Die Gewifa war in den vier Jahren ihrer Existenz ein Experimentierfeld für die künftige Hochschulpolitik der DDR, u.a. mit der Einführung des verschulten Studiums nach zentralen Lehrplänen und der Bildung von Seminargruppen. Sie lieferte einen wesentlichen Beitrag zur Umgestaltung der „bürgerlichen“ Universität mit dem Grundsatz der Freiheit von Forschung und Lehre in eine zentralistisch geführte, der Ideologie der SED unterworfene Bildungsstätte.
Die Leipziger Einrichtung nahm bei diesem Umwandlungsprozess trotz der inneren Widerstände eine führende Stellung ein.

Quellen:
Konrad Krause, Alma mater LIpsiensis, Leipziger Universitätsverlag 2003, Seite 333ff
Markus Wustmann, Die Gesellschaftswissenschaftliche Fakultät in Leipzig 1947 – 1951, in v. Hehl (Herausgeber), Sachsens Landesuniversität in Monarchie, Republik und Diktatur