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Der Blick nach Westen

Auch wenn die Ausstattung mit Fernsehgeräten langsamer anstieg als in der Bundesrepublik, so gab es doch seit den 1970er Jahren derartige Geräte in fast allen DDR-Haushalten. Zu den Einstiegsmodellen gehörte der Fernseher „Debüt“. Mit einer Bildbreite von 50 cm gehörte er eher zu
den Kleinen seiner Art. Er kostete 1630 Mark und wog stattliche 20 Kilogramm. Für den Preis musste ein Arbeiter etwa zwei Monate arbeiten! Hatte man das Gerät dann gekauft, konnte man noch lange nicht „fernsehgucken“, denn eine Antenne war zwingend erforderlich. Die Auswahl der Antenne richtete sich nach dem Programm, das man sehen wollte. Für das DDR-Fernsehen reichte oft sogar schon eine handelsübliche Zimmerantenne aus. Schwieriger wurde das beim „Westfernsehen“. Da kam es auf den Wohnort an. In zwei Gebieten in der DDR war das nahezu unmöglich. Das war einmal das „Tal der Ahnungslosen“ im Raum Dresden und in der Lausitz sowie im Nordosten der DDR.
Für die Menschen in empfangsbegünstigen Gebieten war noch Eigeninitiative gefragte. Gut war, wenn man jemanden kannte, der in der eigenen Garage derartige Metallkonstruktionen, Antennen aus oft zweifelhaften Materialquellen zusammenbastelte. Dafür war Stahlrohr für die Träger und dicker Aluminiumdraht für waagerechte Empfangselemente notwendig.

Foto: Armin Kühne, NA_Kuehne_KB_1972_0477_N035

Jetzt musste nur noch ein geeigneter Standort gefunden werden. Ideal war der Empfang auf dem Dach. Das war aber lebensgefährlich, wenn man um den Zustand vieler Dächer in der DDR kennt. Richtig sichern konnte man sich nur, wenn man Bergsteiger war oder jemanden bei der Feuerwehr kannte. Für die Montage brauchte man ein dickes Stahlrohr (sehr gut geeignet war Gerüstrohr, dass man aber nicht kaufen konnte…). Wenn man dann das etwa zwei Meter lange und sperrige Monstrum auf das Dach gehievt hatte musste es auf den Ochsenkopf im fernen Bayern ausgerichtet werden, denn dort befand sich ein leistungsfähiger Sender, der in großen Teilen der DDR empfangen werden konnte. Problematisch war die Abdichtung an der Stelle, wo der Antennenmast durch die Dachhaut geführt wurde. Man wollte es sich ja nicht mit seinen Mitbewohnern verderben…


Da es natürlich in dieser Zeit noch keine Smartphones gab, gab es zwischen dem Mann an der Antenne und der Person am Fernseher bei der Feinjustierung einen lautstarken „Signalaustausch“ dieser bestand aber in der Regel nur aus „links“, „rechts“, „gut so“ und „noch etwas zurück“. Wenn man Glück hatte erschien dann das gewünschte Westbild mit mehr oder weniger „Gries“ auf der Mattscheibe. Meist natürlich nur in schwarz-weiß, denn Farbfernseher waren extrem teuer und erst ab dem 3. Oktober 1969 erhältlich, als das Gerät mit dem symbolischen Namen „Color 20“ zwar ein buntes Fernsehbild zeigt, dessen Qualität aber meilenweit vom heutigen Standard entfernt war.
Mit der Einführung des zweiten Programms des Deutschen Fernsehfunks zum 20. Jahrestag des Bestehens der DDR am 7. Oktober 1969 kamen auch UHF-Antennen und Antennenverstärker aus den Antennenwerken Bad Blankenburg sowie UHF-Konverter in den Handel der DDR. Der Empfang des Zweiten Deutschen Fernsehen war aber technisch ungleich aufwendiger als für das erste Programm aus dem Westen. Da musste man in Leipzig schon sehr gute Bekanntschaften haben, um diesen beliebten Sender zu empfangen.


Jenseits der technischen Hürden lag das äußerst heikle Feld der Politik. Ganze Berufsgruppen waren vom Westfernsehen ausgeschlossen. Dazu gehörten die „Behördenangestellten“, wie etwa Polizisten,
Mitarbeiter der Zollverwaltung der DDR und sogar Berufsfeuerwehrleute, da diese zum Ministerium des Inneren gehörten. Wie konsequent das eingehalten wurde, war schwer zu kontrollieren.
Immerhin sahen in der 1970er Jahren etwa 70% der Fernsehgerätebesitzer Westfernsehen. Auch wenn es zu Beginn des Fernsehzeitalters einzelne Störaktionen durch Gruppen der staatlichen
Jugendorganisation „FDJ“ gab, wurde der Empfang westlicher Fernseh- und Hörfunksendungen nie gesetzlich verboten. In den letzten Jahren der DDR gab es bereits ideologische Aufweichungen, denn in den Neubaugebieten, wie zum Beispiel in Leipzig-Grünau waren das erste und das zweite Westprogramm bereits in den Gemeinschaftsempfangsanlagen vorprogrammiert.


Sollte Sie der Weg durch Leipzig in nächster Zeit einmal in ein Gebiet mit unsanierten Häusern führen, finden sie vereinzelt immer noch Relikte aus der DDR-Zeit. Und dann kann Oma oder Opa den Enkeln erklären, wie aufwendig es früher war „Fernsehen zu gucken“. Auch dieses Foto von Armin Kühne aus dem Jahr 1972 ist ein wichtiges Dokument der Zeitgeschichte. Die jüngere Generation braucht dafür
„Übersetzer“. Das sei hiermit getan.

Christoph Kaufmann

Das Archiv Armin Kühne im Universitätsarchiv Leipzig

Der Fotograf Armin Kühne hat die Stadt Leipzig und das Leben umfangreich und akribisch dokumentiert. Auf 2,5 bis 3 Millionen Fotografien wird das Archiv, das sich in den Händen des Universitätsarchivs Leipzig befindet und aufgearbeitet wird, geschätzt. Armin Kühne verstarb am 22. Mai 2022 in Leipzig.

Das Ende der DDR und die ersten Jahre nach der Wiedervereinigung ging sind auf der Webseite „https://einheit.leipzig8990.de“ des Universitätsarchivs mit über zehntausenden Aufnahmen aus den Jahren 1990 und 1991 zu sehen. Kühne fotografierte alles: Straßenszenen, Volksfeste, Demonstrationen, Straßenmusik mit der Kelly Family, zahlreiche Aufnahmen rund um die Universität, Wahlkampfauftritte von Politikern, verfallene Häuser.

Armin Kühne, der wohl wichtigste Leipzig-Chronist, verstarb 2022. Sein Nachlass befindet sich im Universitätsarchiv. Foto: UAL