Skip to content

Über das Recht auf die eigene Akte | Der Zugang zu neuzeitlichen Akten im Universitätsarchiv Leipzig

 

Der Zugang zu neuzeitlichen Akten im Universitätsarchiv Leipzig

„In Archiven finden sich alte Akten.“

„In Archiven finden sich alte Akten.“ So urteilt der gut meinende Zeitgenosse über die bestehenden Archiveinrichtungen. Und damit liegt er gar nicht so verkehrt. Was aber in der Gegenwart die Archive ins Gespräch bringt, sind nicht so sehr die älteren Urkunden, sondern die zeitgeschichtlich interessanten Aktenbestände. Vor allem die Unterlagen der ehemaligen Stasi erzeugen noch viel Aufsehen, wie die Prozesse um Helmut Kohl oder von Peter Porsch beweisen. Das Universitätsarchiv Leipzig, als eines der größten Universitätsarchive im deutschsprachigen Raum, birgt eine reiche Überlieferung durch die Jahrhunderte hindurch – nur ca. ein Drittel der Akten entstammt dem Zeitraum nach 1945. Das sind etwa 2 000 laufende Regalmeter, oder mehr als 160 000 einzelne Akten.

Für die zeitgeschichtlichen Forschungen existiert eine Fülle an Material, das abrufbereit zur Verfügung steht und stark frequentiert wird. Über das Prozedere der Verfügbarkeit und des notwendigen Datenschutzes finden sich kaum Klagen. Das  Archivgesetz für den Freistaat Sachsen (von 1993), inzwischen mit zahlreichen Änderungen versehen, regelt eindeutig den Zugang zu neuzeitlichem  Archivgut. Neben den Privatpersonen, die sich um die eigene Familiengeschichte mühen, wirkt das Gesetz vor allem auf jenen Benutzerkreis, der sich mit wissenschaftlichen Arbeiten zur jüngeren Universitätsgeschichte beschäftigt.

Aspekte des Datenschutzes

In den letzten fünf Jahren hat sich die Zahl von zeitgeschichtlichen Untersuchungen verdoppelt: Sie liegt gegenwärtig bei ca. 350 wissenschaftlichen Benutzungsanträgen im Jahr. Viele der jüngeren Wissenschaftler sind jedoch unsicher, wie der Zugang zu Archivmaterial geregelt ist oder wie der Datenschutz eventuell ihre Forschungen einengen oder behindern kann. Die gute Nachricht vorab: Das Universitätsarchiv handhabt den Auslegungsspielraum des Archivgesetzes  sehr liberal und bisher sind durch den erforderlichen Datenschutz keine Untersuchungen abgewiesen worden. Das Archivgesetz setzt zwei Schutzkreise fest, die unterschiedlichen Sicherheitsregimes unterliegen. Mit dem geringsten Schutz werden vom Gesetzgeber die sogenannten Sachakten versehen. Darunter sind alle Akten zu verstehen, die sich nicht auf eine einzelne, natürliche Person beziehen. Generell für jedermann frei zugänglich sind danach alle Unterlagen aus der Zeit von 1945 bis zum 2. Oktober 1990. Die Akten aus der Zeit nach der Wiedervereinigung sind in der Regel für einen Zeitraum von 30 Jahren nach ihrer Entstehung gesperrt. Archivalien, die nach besonderen Geheimhaltungsvorschriften bis zu 60 Jahre gesperrt werden können, finden sich im Universitätsarchiv nicht. Theoretisch ist zwar eine klare Grenze zwischen Sachakten und Personalakten gezogen, in der Praxis sieht es allerdings weit komplizierter aus. Häufig finden sich in Sachakten personenbezogene Schriftstücke, wie Beurteilungen, Lebensläufe, Fragebögen oder persönliche Einschätzungen über Kollegen. In solchen Fällen kann eine Freigabe der gesamten Akte nur erfolgen, wenn für jede betroffene Person eine Lockerung des Datenschutzes zulässig ist.

Wissenschaftliche Auswertung der Akte

Gerade hier sind Wissenschaftler und Archivare gefordert, eine gemeinsame Abstimmung über die erforderliche wissenschaftliche Auswertung der Akte zu erzielen. Dabei sind, neben dem Datenschutz, auch die Gesamtinteressen der Universität zu berücksichtigen. Ein Beispiel für diese Problematik sind unter anderem die Akten des Universitäts-Justitiariats in der DDR. Dort finden sich detaillierte Unterlagen über die Arbeit der Konfliktkommission und der Disziplinarkommission. Ganze Aktenbände befassen sich mit ähnlich gelagerten Rechtsverfahren, die Kündigungen, zivilrechtliche Auseinandersetzungen zwischen Kollegen oder Disziplinarverfahren gegen Studierende jeweils in einer einzigen Akte zusammenfassen. Eine Lockerung des Datenschutzes ist besonders bei Untersuchungen zu politisch verfolgten Personen aus der Zeit nach 1945 sinnvoll – einerseits für die wissenschaftliche Aufarbeitung der DDR-Geschichte und andererseits für notwendige Rehabilitierungen. Eine der Grundregeln dafür ist jedoch, dass über jeden einzelnen Fall gesondert entschieden werden muss und keine pauschalisierten Regelungen möglich sind.

Ende der Schutzfrist

Für nur auf einzelne Personen bezogenes Schriftgut, die Personalakten, gibt es hingegen wieder klare gesetzliche Regeln: Für nur auf einzelne Personen bezogenes Schriftgut, die Personalakten, gibt es hingegen wieder klare gesetzliche Regeln: Zehn Jahre nach dem Tod des Betroffenen endet die Schutzfrist. Ist ein Todesdatum nicht feststellbar, wird die Akte 100 Jahre nach der Geburt des Betroffenen für die allgemeine Benutzung frei. Solange also ein Betroffener noch am Leben ist, kann die Einsichtnahme in seine Akte nur mit seinem Einverständnis erfolgen. Im Zehnjahreszeitraum nach seinem Tod ist für eine Einsichtnahme in seine Akte das Einverständnis des Ehepartners oder seiner Kinder erforderlich. Eine mögliche Verkürzung der Schutzfristen aus wissenschaftlichen Gründen, der Gesetzgeber spricht von öffentlichem Interesse, kann allerdings nicht gegen den erklärten Willen des Betroffenen oder der Hinterbliebenen erfolgen. Hier könnten theoretisch Interessenskonflikte entstehen, was aber in der Praxis bisher noch nicht geschehen ist.

Akteneinsicht

Was bedeutet das für die Akteneinsicht von Universitätsmitarbeitern oder Studenten? Drei Beispiele sollen die Handhabung des Archivgesetzes für Personalakten verdeutlichen: Peter Porsch: Im Universitätsarchiv Leipzig lagernde Personalakten über Professor Porsch (geboren 1944) sind nicht zur öffentlichen Benutzung freigegeben. Lediglich aus dienstlichen Gründen kann die aktenführende Stelle (Personaldezernat) Zugang zu den Akten erhalten und natürlich Professor Porsch selbst. Aufgrund dieser Einschränkungen sind wissenschaftliche Benutzungen nur mit dem Einverständnis von Professor Porsch möglich. Hans-Georg Gadamer: Der bekannte Philosoph starb am 13. März 2002. Nach dem Archivgesetz ist seine Personalakte bis zum Jahre 2012 gesperrt. Eine Einsicht in die Akte ist wiederum nur zu dienstlichen Zwecken für die aktenführende Stelle (Personaldezernat) bzw. zu öffentlichen Zwecken mit der Genehmigung der Hinterbliebenen möglich. Für wissenschaftliche Projekte kann also die Akteneinsicht nur mit Zustimmung von Frau Gadamer erfolgen. Uwe Johnson: Gestorben ist der bekannte Schriftsteller bereits im Februar 1984, so dass seine Personalakte für die öffentliche Benutzung frei ist. Ebenso wie der Zugang zu den Akten für Dritte geregelt ist, so garantiert das sächsische Archivgesetz auch, dass jeder Betroffene zu seinen Akten in staatlichen Archiven Zugang erhält. Das schließt das Recht ein, Gegendarstellungen zu den in der Akte enthaltenen Vorgängen anfügen zu lassen. Die Akten selbst befinden sich allerdings im Besitz der Universität bzw. des Freistaates und werden Privatpersonen nicht ausgehändigt. Durch das Archivgesetz werden genügend Möglichkeiten für die wissenschaftliche Aufarbeitung der jüngsten Vergangenheit geboten. Im Gegensatz zu früheren Zeiten wird dem Archivar auch die Entscheidungsfindung erleichtert, wie mit den ihm anvertrauten Akten umzugehen ist. Der Benutzer auf der anderen Seite kann sicher sein, dass er alle für ihn relevanten Unterlagen erhalten wird und dass seine Untersuchungen nicht an willkürlichen Sperrungen scheitern.

Von Jens Blecher.