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Da, wo es stinkt und knallt, – Wie die Chemie an die Universität kam

Erste “Professor für Chymie”

Johann Christoph Scheider (1681 – 1713), Doktor der Medizin, erhielt am 3. September 1710 die erste “Professor für Chymie” an der Universität Leipzig. Diese Professur war seinerzeit noch an der Medizinischen Fakultät angegliedert. Scheider bemühte sich um die Errichtung eines chemischen Laboratoriums. Er vertrat den Standpunkt, die Chemie sei nicht lediglich durch reine theoretische Vorlesungen, sondern vor allem durch praktische Versuche zu ermitteln.  Johann Christoph Scheider konnte sich allerdings bei seinem Versuch, ein Laboratorium aufzubauen, nicht gegen eine Gruppe von ablehnend eingestellten Professoren durchsetzen, die sich um den Theologen Gottfried Olearius (1672 – 1715) gebildet hatte. Scheider verließ die Stadt, das Ordinariat erlosch 1712. Wie die Akten belegen, waren die Vorstellungen Scheiders für das chemische Laboratorium recht präzise und mit sehr genauen kleinen Zeichnungen illustriert.
 

Ein Chemie-Laboratorium erst nach 20jährigem Kampf

Der Bedeutungszuwachs chemischen Bildungsgutes bewog 1710 Kurfürst Friedrich August I., auch der Starke genannt, an der Medizinischen Fakultät zusätzlich zum Extraordinariat von 1668 noch eine ordentliche Professur für Chemie einzurichten. Zugleich ordnete er an, über Chemie nicht nur vom Katheder aus zu lesen, sondern ein chemisches Laboratorium zu gründen, in der Vorlesung Experimente vorzuführen und mit praktischen Unterweisungen der Studierenden zu beginnen.  Die Wahl für den Zeitpunkt dieser verstärkt auf Praxis und Experiment gerichteten Forderung des Kurfürsten wird verständlich, wenn man weiß, dass 1710 auf der Messe in Leipzig erstmalig Meißner Porzellan ausgestellt und zum Kauf angeboten wurde. Der am 8. September 1784 als Nachfolger von Prof. Anton Riediger, der in der Laborangelegenheit auch nach Scheider wiederum erfolglos blieb, berufene Christian Gotthold Eschenbach (1753 – 1831) war in seinen Bemühungen um ein Laboratorium erst nach 20jährigem Kampf erfolgreich.

Abbildung: Die Pleißenburg kurz vor ihrem Abriss im Jahre 1897, links die Thomaskirche, im Vordergrund ist der Einschnitt des Pleißemühlgrabens zu erkennen. Historische Postkarte Universitätsarchiv Leipzig UAL, Rep. II/I/C 1

Das erste chemische Laboratorium in der Pleißenburg

Endlich wurde am 30. Juni 1805 das erste chemische Laboratorium der Universität, das man in einem frei gewordenen Raum auf der Pleißenburg eingerichtet hatte, übergeben. In den Jahren zuvor war Eschenbach gezwungen gewesen, eigene experimentelle Untersuchungen in privaten Laboratorien außerhalb der Universität durchzuführen. Mitunter kann man bis heute in Leipzig Stimmen vernehmen, nach denen solche Schilderungen zur Laborsituation als übertriebene Behauptungen hingestellt werden.

Sie kehren meist hervor, dass es damals in der Stadt ganz sicher Laboratorien gegeben hätte. Das kann man nicht bestreiten; aber es ging bei der Entfaltung der Chemie als Universitätsdisziplin nicht um private Laboratorien in Leipzig, sondern um solche, die Einrichtungen der Universität sind, die also zu ihr gehören und die somit auch von ihr zu finanzieren sind. Laboratorien einzurichten und zu unterhalten, das sollte nicht mehr Privatsache der Professoren sein. So hatte zum Beispiel der Chemieprofessor Bernard Kühn (1800–1863), dessen Vater übrigens zur 400-Jahr-Feier der Universität im Wintersemester 1809 Rektor war, jahrelang sein Laboratorium aus eigener Tasche unterhalten müssen. Auch dem Psychologen Wilhelm Wundt (1832–1920)  war es 1879 bei der Gründung der experimentellen Psychologie ähnlich ergangen.

1897/98 wurde die Pleißenburg abgerissen, um im Zentrum der Stadt ein freies Gelände zu schaffen, auf dem dann zwischen 1899 und 1905 nach einem Entwurf von Hugo Licht das Neue Rathaus gebaut wurde. Der heutige Rathausturm steht auf dem Fundament des Turmes der alten Pleißenburg. Er markiert somit genau die Stelle in Leipzig, an der sich das erste chemische Laboratorium der Universität befand. Auf dem Burgturm hatte seit 1794 außerdem die Sternwarte der Universität ihren Sitz.

Weitere Entwicklung der Chemie

Die weltweite Ausstrahlung der Universität, die sie im 19. Jahrhundert erreichte und durch die sie sich als eine herausragende Arbeitsuniversität auswies, ging von einer Reihe geisteswissenschaftlicher Fächer und den Philologien, vor allem aber von einer erfolgreichen Entfaltung der Naturwissenschaften, insbesondere der Chemie, sowie der Medizin aus. Die Wurzeln der Chemie führen somit in die Medizinische Fakultät, in deren Schoß und Schutz sie sich herausbilden konnte.

Die Förderung der Chemie durch sächsische Landesfürsten war eine von Weitsicht getragene Entscheidung der Wissenschaftsentwicklung. Genau dreihundert Jahre nach der Einrichtung einer Professur für Chemie im Jahr 1668 wurden durch die III. Hochschulreform in der DDR die inzwischen entstandenen chemischen Institute aufgelöst und es wurde  am 15. Juni 1968 die Sektion Chemie gegründet, an der es keine Institutsdirektoren mehr gab.


Oft sind es nicht die großen Entwicklungen in der Vergangenheit, die uns zu Herzen gehen und im Gedächtnis haften bleiben. Vielmehr berührt uns immer wieder das Menschliche, oft auch das Nebensächliche der Geschichte.

Kleine Geschichten und Episoden lassen in unseren Köpfen eine individuelle Erkenntnis von längst vergangenen Zeiten und Personen reifen, die ein lebendiges Bild der Vorzeit zeichnet.

An Episoden und menschlichen Erzählsträngen mangelt es in einem Archiv nie, natürlich steckt auch das Universitätsarchiv voller solcher Geschichten. Im Grunde, erzählt jedes der rund 2000 Blätter in einem Archivkarton – in unseren Magazinen liegen mehr als 70.000 solcher Archivkartons – diese Art von Geschichten. Aus der gigantischen Masse dieser 140.000.000 Bruchstücke der Vergangenheit lassen sich unendlich viele Episoden rekonstruieren.