„Frisch auf, mein Volk! Die Flammenzeichen rauchen!“
Von Volker Schulte
Die Zeit des Leipziger Studiums des Dichters Karl Theodor Körner (1791-1813) ist schnell erzählt, betrifft es doch nur eine kurze, unergiebige Etappe seines ohnehin nur kurzen Lebens. Im Rückblick wird er gut zwei Jahre später, inzwischen wohlbestallter k. k. Hoftheaterdichter in Wien, sagen, in Leipzig sei er „ein roher, wilder Bursche“ gewesen und habe sich „in seichter Gesellschaft von Studenten herumgeschlagen“. Mit der Gitarre auf dem Rücken und einem eigenen Gedichtband („Knospen“) in der Tasche traf Körner Anfang August 1810 in Leipzig ein.
Da hatte er schon ernsthafte naturwissenschaftliche Studien über zwei Jahre hinweg an der Bergakademie Freiberg absolviert und auch die praktische Seite des Bergmannsberufs mit der Arbeit unter Tage kennengelernt. An der Pleiße sollte er sich ursprünglich der Rechtswissenschaft zuwenden, besuchte dann aber einige Vorlesungen zu Geschichte und Philosophie, schienen sie ihm doch für die Ausbildung zum Dichter, zu dem er sich nunmehr bestimmt sah, am besten geeignet. Aber nach reichlich einem Semester verließ er Leipzig schon wieder, genauer schlich er in aller Herrgottsfrühe des 23. März 1811 aus der Stadt, um der Strafe des Universitätsgerichts zu entgehen.
Was war geschehen? Der junge Körner, im Vaterhause von klein auf mit Poesie (vornehmlich den Balladen des befreundeten Schiller), Kunst und Musik vertraut und selbst mit beachtlichen Talentproben auf dem Klavier und anderen Instrumenten, im Gesang, Zeichnen und Verseschmieden hervorgetreten, hatte es aber auch in sportlich-männlicher Ertüchtigung recht weit gebracht und galt als guter Schwimmer, Reiter und Fechter. Letzteres glaubte er in Leipzig nachdrücklich unter Beweis stellen zu müssen. Schließlich ging es um das hohe Gut der studentischen Ehre. Als Mitglied und bald einer ihrer Wortführer der Landsmannschaft Thuringia geriet er in die Händel mit der kleinen, aber feinen Partei der adligen Studenten, die in Professorenkreisen dominierten. Tonangebend wollten aber auch die Thüringer sein und ihre Normen eines geordneten studentischen Lebens von den anderen anerkannt wissen.
In Kollegien, Kaffeehäusern und auf der Straße kam es zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen den Landsmannschaften der Thüringer, Lausitzer, Meißner und Schlesier auf der einen und der „Schwefelbande“, wie die adlige Clique von ihren Kontrahenten genannt wurde, auf der anderen Seite. Körner als einer der – zumindest verbalen – Eiferer wurde mehrfach vom Universitätsgericht verhört, das ihm schließlich einen Stadtarrest ankündigte, und der eingeschaltete Hohe Kirchenrat in Dresden belegte ihn gar wegen des Verdachts der Aufforderung zum Duell mit einer achttägigen Karzerstrafe. Was Körner nicht hinderte, sich in dieser Zeit, im März 1811, erneut auf ein Duell einzulassen. Er wurde an der Stirn verletzt und musste das Bett hüten. Als der Pedell mit der Aufforderung erschien, er habe zur Entgegennahme des Urteils vor dem Konzil zu erscheinen, lehnte das Körner mit der Behauptung ab, er habe sich beim Sturz von der Treppe verletzt. Doch der Rektor, dem der wirkliche Hergang hinterbracht worden war, setzte nunmehr den Universitätsphysicus Clarus und den Universitätschirurgen Gerlach in Gang, um Körners Gesundheitszustand zu überprüfen. Sie konnten Körner nicht antreffen, denn der gab gerade einem relegierten Studienfreund das Ehrengeleit aus der Stadt. Von Freunden gewarnt, kehrte Körner nicht in seine Wohnung zurück, versteckte sich in der Stadt und verließ sie schließlich heimlich, allein „den treuen Schläger und die Laute“ mit sich nehmend. Zweimal wurde Körner durch Anschlag am Schwarzen Brett noch öffentlich „citiert“ – ohne Erfolg. So wurde am 19. Juni 1811 die Relegation ausgesprochen; das in Latein abgefasste Relegationspatent blieb bis zum April 1812 angeschlagen; es ist heute im Universitätsarchiv einzusehen. In Berlin, an seinem dritten Studienort, hörte er Vorlesungen bei Fichte und Schleiermacher, bereicherte Zelters Singakademie mit seinem eindrucksvollen Bass und nahm an den Turnveranstaltungen bei Friedrich Ludwig Jahn und Karl Friedrich Friesen teil. Aber auch in Berlin war seines Bleibens nicht lange.
Gemäß einer Konvention, nach der die an einer Universität ausgesprochene Relegation auch andernorts Gültigkeit besaß, schloss der Senat der Berliner Universität Körner aus der Studentenschaft aus. Der war krankheitsbedingt ohnehin schon im Mai 1811 in seine Heimatstadt Dresden abgereist und hatte sich danach zur Genesung nach Karlsbad begeben. Vater Gottfried Körner bestimmte als nächsten Studienort Wien, das zum einen besagter Konvention nicht angehörte und in dem er zum anderen auf einen günstigen Einfluss seiner Freunde Wilhelm von Humboldt und Friedrich Schlegel hoffen durfte. Das zunächst auch ins Auge gefasste Heidelberg hätte nach Ansicht des Vaters wieder zu viele studentische Verlockungen geboten. Nach seinem Plan, ging es ihm doch immer um ein solides Bildungsfundament für seinen Sohn, sollte auf Wien Breslau oder Göttingen folgen. In einem Brief an den verwandten Professor Albrecht Weber in Berlin benennt er den wunden Punkt: „Es fragt sich nun, wie der herrschende Ton unter den Studenten ist. Mein Sohn ist kein Renommist, aber geneigt, sich das Burschenleben zu idealisieren, und mag gern unter denen, die den Ton angeben, eine Rolle spielen.“ Auch an ein „Praktikum“ bei Goethe in Weimar, der schon seine Zustimmung dazu gegeben hatte, war gedacht worden. Aber es kam anders. Das lag an Wien, der Welt des Theaters und den politischen Zeitläuften. Seit Ende August 1811 in der alten Residenzstadt, genoss er bald Abend für Abend, was die Musik- und Theatermetropole zu bieten hatte – und erweckte in sich selbst eine produktive Leidenschaft zur dramatischen Kunst. Binnen weniger Monate entstanden aus seiner Feder mehrere kleine Lustspiele, als erste „Die Braut“ und „Der grüne Domino“, die auch gleich bei ihrer Aufführung im Burgtheater zu einem großen Publikumserfolg wurden. Doch unter dem Einfluss der Kunstwächter Schlegel und Humboldt und nicht zuletzt der sittenstrengen Schauspielerin Antonie Adamberger, seiner späteren Braut, wandte sich Körner ernsteren Themen zu. Es entstanden die Dramen „Toni“ und „Sühne“, die auch die Anerkennung Goethes fanden. Sie zeugten „von einem entschiedenen Talente, das, aus einer Jugendfülle, mit Leichtigkeit und Freiheit, sehr gute und angenehme Sachen hervorbringt“, schrieb der Meister an den Vater. Diese und weitere Stücke Körners wurden in Weimar aufgeführt, sie kamen dem Theaterverantwortlichen ganz zu passe,„denn wir waren im Begriff auf den Sandbänken der neuesten dramatischen Literatur zu stranden…“. Ein paar Monate später, Ende August 1812, klingt es fast schon wie ein Hilferuf des Geheimrates, wenn er an Humboldt in Wien schreibt: „Körners grüßen Sie mir zum schönsten. Wenn der junge Mann wieder etwas fertig hat, bitte ich mir das gleich zu schicken. Ein größeres Stück zum 30. Januar, dem Geburtstage der Herzogin, wäre mir diesmal sehr willkommen.“ Da hatte der „junge Mann“ in Wien schon seinen „Zriny“ zu Papier gebracht, mit dem er sich und der Welt beweisen wollte, dass er neben dem komischen auch das tragische Fach beherrscht, an die Seite seiner Lustspiele auch ein großes historisches Drama zu stellen vermag, das der Zeit entsprechend – ganz Europa litt unter der napoleonischen Eroberungspolitik – einen starken vaterländisch-patriotischen Akzent besaß. Körner fand das „große Thema“ im Verzweiflungskampf des ungarischen Grafen Nikolas Zriny, der 1566 mit seiner Truppe eine Festung heldenhaft und opferbereit gegen eine türkische Übermacht verteidigte. Die Wiener hatten die aktuelle politische Stoßrichtung verstanden, zur mehrfach verschobenen Premiere (der Text hatte ein halbes Jahr bei Metternich „gelegen“) am 30. Dezember 1812 wurde auch der Dichter auf die Bühne gerufen und enthusiastisch gefeiert. Es entsprach Körners ganz vom deutschen Idealismus geprägten Welt- und Menschenbild, nicht bei bloßer Begeisterung stehen zu bleiben, sondern sich selbst mit ganzer Kraft für die höchsten und edelsten Ziele einzusetzen. Diese verband der 20-Jährige mit einem freien und geeinten deutschen Vaterland. Hatte er schon zu Beginn seiner Wiener Zeit an den Vater geschrieben, sein Zukunftsplan, die Poesie zu seinem Beruf zu machen, „könnte nur durch den Krieg mit Preußen geändert werden, wo ich … meine deutsche Abkunft zeigen und meine Pflicht erfüllen müsste. Man spricht so viel von Aufopferung für die Freiheit und bleibt hinter dem Ofen … Man wird vielleicht sagen, ich sei zu etwas Besserem bestimmt; aber es giebt nichts Besseres als dafür zu fechten oder zu sterben, was man als das Höchste erkennt.“ Gut ein Jahr später, im März 1813, Körner war inzwischen von Theatererfolg zu Theatererfolg geeilt und zum k. k. Theaterdichter mit einem Jahresgehalt von 1500 Gulden ernannt worden, wird die Ankündigung zur Tat. In einem später viel zitierten Brief begründet er es: „Ja, liebster Vater, ich will Soldat werden, will das hier gewonnene glückliche und sorgenfreie Leben mit Freuden hinwerfen, um, sei’s auch mit meinem Blute, mir ein Vaterland zu erkämpfen.“ Kein Opfer sei zu groß „für das höchste menschliche Gut, für seines Volkes Freiheit … Soll ich in feiger Begeisterung meinen siegenden Brüdern meinen Jubel nachleiern?“
Am 19. März 1813 trat Theodor Körner in Breslau dem Lützowschen Freikorps bei, das im Rücken der französischen Truppen operierte. Zwischen den Streifzügen und Gefechten entstanden seine Kriegslieder, die wie seine früheren Gedichte und Dramen im Schillerschen Tonfall geschrieben sind, sie aber in künstlerischer Qualität und Wirkung zweifellos übertreffen. Bald sang die ganze Schar diese Lieder, die der Vater später unter dem Titel „Leier und Schwert“ veröffentlichte und von denen einige, voran die von Carl Maria von Weber vertonten, seinerzeit zu Volksliedern wurden. Einzelne Verszeilen wie „Das ist Lützows wilde, verwegene Jagd“, „Du Schwert an meiner Linken“, „Frisch auf, mein Volk! Die Flammenzeichen rauchen!“, „Es ist kein Krieg, von dem die Kronen wissen“ oder „Das Volk steht auf, der Sturm bricht los“ sind wohl auch heute noch, wenigstens bei der älteren Generation, für die Körners Lieder noch Unterrichtsstoff waren, im Gedächtnis vorhanden. Im Juni 1813 bei Kitzen bereits schwer verwundet, wurde der gewählte (!) Leutnant und Adjutant Körner kurz nach seiner Rückkehr in die Lützowsche Freischar „am 26. August 1813 durch eine feindliche Kugel bei einem Gefecht zwischen Schwerin und Gadebusch getötet“, wie es, in Eisen gegossen, an seiner Grabstätte bei dem Dorfe Wöbbelin zu lesen ist. Ins Auge fällt, dass Körner sein idealisches Streben fast immer an Opferbereitschaft, Blutzoll und Tod knüpft. Dies ist die selbstzerstörerische Kraft, die Nachtseite seines glühenden, kämpferischen Idealismus, der daher bei der heutigen Jugend, die in andere historische Zusammenhänge gestellt ist, keinen Anklang mehr findet.
Vaterland? Volk? Dem Zeitgeist wurden sie zu fragwürdigen Begriffen, aus dem Vaterland wurde der Sozialstaat und aus dem Volk die Bevölkerung. Was nicht hindert, dem einst gefeierten Dichter der Befreiungskriege mit historischem Bewusstsein entgegen zu treten und ihm eine angemessene Beachtung zu schenken.
Literatur:
Theodor Körners sämtliche Werke. Vollständige Ausgabe in zwei Bänden. Mit einer Charakteristik Körners von Eugen Wildenow. Max Hesse’s Verlag,
Leipzig.
Theodor Körner Werke. Mit einem Vorwort von Hans Marquardt. Verlag Philipp Reclam jun. Leipzig 1959.
Zarncke, Friedrich: Kleine Schriften, Band 2: Aufsätze und Reden zur Cultur und Zeitgeschichte. Theodor Körner’s Relegation aus Leipzig. Eduard Avenarius, Leipzig 1898.
Briefe der Familie Körner. Hrsg. von Albrecht Weber. In: Deutsche Rundschau, hrsg. von Julius Rodenberg, Band 16. Berlin 1878.
Goethes Briefe. Hamburger Ausgabe in 4 Bänden, Band III. Christian Wegner
Verlag. Hamburg 1965.